Massaker light

■ Premiere von Helmut Kraussers „Lederfresse“ im TiK

Die Welt steckt voller Dichter. Überall wohnen welche. Sie quälen sich, sie mühen sich und sie kämpfen mit ihren Komplexen und verschraubten Leidenschaften, von denen die Welt nur durch ihr wohlgeschwungenes Wort erfahren soll. Auch Lederfresse (Klaus Rodewald) ist solch ein Genie hinter verschlossenen Türen. Auch er hält Faszination für Intuition und leitet aus dem Splatter-Vorläufer Texas Chainsaw Massacre seine Reflektionen über Ekel und Macht ab.

In die Rolle des Mannes mit der Menschenhaut-Maske, der mit der Motorsäge seine Artgenossen zerlegt, schlüpft unser Dichter nun zwecks seelischer Befriedigung und Abfuhr der Verzweiflung. Mit selbstgenähter Ledermaske, mit Schweineblut bepinselter Schlachterschürze und glänzender Motorsäge läßt er sich in seiner Bude nun serienmördermäßig gehen. Leider überrascht ihn seine Freundin (Martina Schiesser), und, von der Heimlichkeit befreit, gewinnt die Verkleidung Macht über ihn.

Nun erliegt Lederfresse seiner eigenen diffusen Uminterpretation des Killers. Der Massenmörder ist ihm sowohl die Bedrohung schlechthin, die draußen vor der Tür lauert, wie die triebhafte Befreiung aus einer Situation der Verklemmtheit, ja der gesellschaftlichen Unterdrückung. Mit der Kettensäge in der Hand fühlt er sich gleichzeitig mächtig gegen das Böse und frei wie nie zuvor. So entfesselt er gemeinsam mit seiner Freundin ein fatales Geiselnehmerspiel.

Regisseur Nicolai Sykosch verwandelt Helmut Kraussers „Tour de Farce“ in eine amüsante Komödie. Das relativ getreue Abbild spießiger Genialitätsträume und peinlich verdrängter Obsessionen wird mit Leichtigkeit erzählt. Die ironische Betrachtung eines keineswegs übermäßig abstrusen Jungmänner-Wahnsinns unter Vermeidung soziologischen Tiefsinns ist kurzweilig, ja geradezu nett.

Till Briegleb