■ Tödlicher Polizeischuß
: Die Wahrheit ans Licht!

In Berlin ist in der Nacht vom vergangenen Mittwoch zum Donnerstag zum erstenmal seit dreieinhalb Jahren wieder ein Mensch durch einen Polizeischuß getötet worden. Zwischen diesem Schuß und dem tödlichen Schuß davor liegen sogar fast fünf Jahre. Das könnte – frei nach dem von Polizeiführung, -gewerkschaften und Innensenat in solchen Fällen gern bemühten Motto vom „umsichtigen Beamten“ und „zurückhaltenden Einsatz der Schußwaffe“ – in der Tat beruhigen: In Hamburg etwa sind allein im vergangenen Jahr drei Menschen von Polizeibeamten erschossen worden.

Für die innerstaatliche Gewaltfähigkeit und -bereitschaft gibt es keinen besseren, härteren und keinen so gut erfaßbaren Indikator wie den polizeilichen Schußwaffeneinsatz (mit Todesfolge). Und in keinem anderen Fall hat die Öffentlichkeit einen größeren Anspruch auf sofortige und rückhaltlose Aufklärung. Berlin hat in solchen Fällen allerdings eine andere, unselige Tradition: die des Verschleierns und des Vertuschens!

Diese Praxis reicht unterdessen zurück bis zum Beginn der siebziger Jahre. Damals, am 31. Januar 1971, wurde der Tankwart Peter Braatz durch einen aufgesetzten Genickschuß getötet. Acht Tage nach diesem Todesschuß wurde eine Rekonstruktion des Falles durchgeführt. Im Anschluß daran wurde der Polizist Salzwedel wegen „dringenden Verdachts des Totschlags“ festgenommen. Bis dahin waren die Ermittlungen verschleppt und erste Ergebnisse totgeschwiegen worden. (Salzwedel wurde später wegen „fahrlässiger Tötung“ zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt.) Auf Polizeiseite führte dies seinerzeit zur Einrichtung einer internen „Schußwaffengebrauchskommission“. Elf Jahre führte die sogenannte „Schußko“, die von nun an alle Fälle des Schußwaffeneinsatzes untersuchen sollte, ein ebenso unangefochtenes wie unrühmliches Leben. Schon die Formulierung ihres Auftrages „...zur Verhinderung voreiliger, unvollständiger oder widersprüchlicher Stellungnahmen und Verlautbarungen...“ ließ nichts Gutes erwarten. 1983 wurde sie infolge eines tödlichen Schusses in den Rücken des jugendlichen Einbrechers Andreas Piber aufgelöst. Allzusehr waren im Prozeß gegen den Todesschützen Rosentreter – ein Jahr auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung – die Praktiken der „Schußko“ offenbar geworden: Gegen vier ihrer Mitglieder – alles hochrangige Polizeiführer – mußte anschließend wegen uneidlicher Falschaussage beziehungsweise wegen Meineides ermittelt werden. Fortan wurden die Ermittlungen wieder ausschließlich von der zuständigen Mordkommission geführt.

Auch im jetzigen Fall der Tötung des mutmaßlichen Einbrechers Jochen M. sind die Tatumstände heute, fünf Tage nach dem tragischen Schuß, mehr als nur unklar. Während das Obduktionsergebnis von einem Schuß von vorne ausgeht – was bis zum Beweis des Gegenteils immerhin die Möglichkeit einer Notwehr offenläßt – liegen der taz Informationen vor, die von einem Schuß in den Hinterkopf sprechen. Allein dieser Widerspruch müßte ausreichen, sofort sämtliche Erkenntnisse zu veröffentlichen. Statt dessen hält sich die Polizeipressestelle bedeckt, und die Justizsprecherin erklärt gar kaltschnäuzig, sie wolle nichts sagen. Dies läßt nur den Schluß zu, daß es etwas zu vertuschen gibt. Wollen sich die Polizeiführung, der Innensenator und die Justiz diesem Verdacht nicht noch länger aussetzen, so sind umgehend und detailliert alle Umstände des Tathergangs bekanntzugeben. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf. Otto Diederichs

Der Autor ist Redakteur des Informationsdienstes Bürgerrechte & Polizei/CILIP.