Sind die Mehrheitsparteien besser?

■ betr.: „Volksverhetzer Schönhu ber“, taz vom 11.4.94

Solange die pseudoidyllische Zweistaatlichkeit noch bestand, mochte das fiktive Konstrukt eines demokratischen Verfassungsstaates ja noch Sinn gemacht haben. Darum erfreute sich das notorisch korrupte und verlogene System auch ständiger Spenden von seiten finanzstarker Gönner. Mit dem Umbruch seit 1989 und der Weltwirtschaftskrise haben diese Stabilisierungsleistungen ihre Scheinlegitimität verloren. Das ganze politische System gerät in Widerspruch zu seinem Überbau.

Per Anpassungssog hatte die Mittelmäßigkeit der politischen Klasse bereits vorher zu einer Versumpfung der demokratischen Parteien geführt, in denen ja nur eine Splittergruppe der Bevölkerung organisiert war und blieb. Das sehr schöne Beispiel des ehemaligen Innenministers Maihofer hat leider keine Schule gemacht.

Die These, der Staat gehe an seinen „Totengräbern“ zugrunde, ist haarsträubend. Was diesem Staat vielmehr zum Verhängnis werden wird, ist die Administration des Bonner Wasserkopfs, die das ganze Land mit mäandernden Mustern überzieht. In ihrem Schatten gehen zahllose „Selbständige“ einer weithin sinnlosen Existenz nach. Der Bereich der Bausparfinanzierung, das Versicherungsunwesen sowie vor allem die sogenannten „Finanzmärkte“, das sind die Krebsschäden unserer Demokratie. Auch wer begleitend Begriffe wie „Erlebnisertrag“ oder „Ausstellungsgewinn“ prägt, ist eine merkantile Charaktermaske und nichts anderes. Dementsprechend wird die Integrität der „Person“ in unserer Gesellschaft in direktem Zusammenhang mit Vermögenswerten geschützt.

Die Mehrheitsparteien haben sich den Rechtsruck selbst zuzuschreiben:

– Am 9.11.92 reagierten sie mit heftiger Abwehr, als der Tübinger Philosoph Manfred Frank sie in der Paulskirche darauf hinwies, es gebe eine Ähnlichkeit zwischen dem Antisemitismus der dreißiger Jahre und der Behandlung der „Asylantenfrage“.

– Im April 1993 erschien die von Bild millionenfach vorabgedruckte Implosion des vormaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt. In der Vereinigungsschrift warnte er vor einer Präsentation der Grundgesetzänderungen auf einen Schlag und behauptete, der deutsche Nationalcharakter sei durch eine wie auch immer geartete Rechtskultur nicht „erschöpft“ (133/138). Wachsendes Anspruchsdenken und Kritik an der Eigentums- und Wirtschaftsordnung gefährdeten die Demokratie (S. 53). Das „Volk“ zeichne sich durch politische Unzuverlässigkeit aus und neige zu Nörgelei, Hysterie und Utopismus. Er wandte sich gegen eine pauschale Verurteilung von ehem. Wehrmachtsoldaten und NSDAP-Mitgliedern, die er mit Volksarmisten und SEDlern auf eine Stufe stellte. Sowohl PDS als auch Grüne stünden nicht gänzlich auf dem Boden der Verfassung (S. 78). Außerdem habe jeder eine sittliche Verpflichtung gegenüber Staat und Natur (S. 118).

– Im Mai 1993 beseitigten die Mehrheitsparteien den Grundgesetzartikel 16, nach gut einem Jahr rassistischer Hetze mit den bekannten Folgen und schlossen – Gipfel der Fremdenfeindlichkeit – „Entsorgungsabkommen“ mit den osteuropäischen Anrainerstaaten.

– Im Mai 1993 erklärte das BVG auch bestimmte Formen künstlerischer Polemik als „Schmähkritik“ für schmerzensgeldpflichtig. Die „Schmähung“ und „Hetze“ gegen das „deutsche Volk“ und einzelne Teile war eines der ersten Vergehen, die von den Nationalsozialisten neu erfunden wurden. In diesem Sinne hatte Joseph Goebbels am 8. Mai 1933 erklärt: „Das System, das vor dem revolutionären Aufmarsch dieser Bewegung zusammenbrach, beruhte auf dem Gedankenteiler des Individuums“ (Michalka 1, 124). Gemeint war zum Beispiel die „zersetzende“ Publizistik eines Kurt Tucholsky. Insbesondere die SPD hat sich seither auf diesen Präzendenzfall bezogen.

– Trotz aller „Ausländerfreundlichkeit“ setzt sich derweil der von der politischen Klasse zu verantwortende gesellschaftliche Druck auf die Asylbewerber in dem Rassismus gegenüber den Kurden fort, in dem eine weitere konstruierte Minderheit isoliert und ausgegrenzt wird.

Jetzt wollen die Politiker zumindest auf der symbolischen Ebene den Anschein der Normalität wahren und rufen heuchlerisch nach einem Verbot der Republikaner. Zweifellos sind Schönhubers Äußerungen gegenüber Bubis antisemitisch. Sie greifen auf das Stereotyp der Nazis zurück, wonach die „Hetze des internationalen Judentums“ ihre „Artverschiedenheit“ von der „seinsmäßigen artgemäßen Gleichartigkeit“ der „völkischen Gemeinschaft“ (Ernst Forthoff) belegt. Sind aber die Mehrheitsparteien viel besser? Verbietet euch doch gleich mit, möchte man ihnen zurufen. Und macht Schönhuber zu eurem Bundespräsidenten auf Lebenszeit. Der mutmaßliche Thälmann-Mörder in Buchenwald durfte unter Johannes Rau ja auch bis zu seiner Pensionierung Kinder unterrichten. Leider nicht mehr die eigenen. Eberhard Krahl, Bielefeld