Die Stimmung wird gereizt in Mexiko

■ Chiapas: Seltsames Feuergefecht, andauernder Landstreit

Mexiko-Stadt (taz) – Noch herrscht Ruhe in Chiapas. Fast wäre es damit vorbei gewesen: Am Freitag morgen hatte eine Gruppe von schwerbewaffneten Männern in Zivil einen Militärposten in der Nähe der Landeshauptstadt Tuxtla Gutiérrez angegriffen. Während des fast zweistündigen Feuergefechtes starb ein Soldat der Streitkräfte; die Angreifer konnten dagegen unerkannt entkommen.

Aber wer auch immer ein Interesse an der Torpedierung des Friedensprozesses haben mag, ist gescheitert. Der Oberbefehlshaber der Armee in der südmexikanischen Provinz, General Miguel Angel Gódinez, bezeichnete die Attacke noch am selben Tag als „isolierte Provokation“, die keinesfalls mit der Zapatistenguerilla EZLN in Verbindung stehen müsse. Und tatsächlich traf prompt das entsprechende Statement der EZLN bei der Presse ein. Am Samstag sagte dann der vermittelnde Bischof von San Cristóbal, Samuel Ruiz, die EZLN habe ihn gebeten, nach Wegen zur Fortsetzung des Dialogs zu suchen.

Zwei Tage zuvor hatten die Landesregierung von Chiapas und der unabhängige Bauernverband CEOIC eine Art Befriedungspakt geschlossen, um die andauernden Konflikte um wilde Landbesetzungen zu beenden. Gouverneur López Moreno versprach, auf Räumungen der bislang besetzten Grundstücke bis „zur weiteren Klärung der rechtlichen Situation“ zu verzichten; Vertreter des CEOIC sagten zu, nicht zu weiteren Besetzungen aufzurufen. Andere unabhängige Landarbeiter-Organisationen aber verkündeten ihre Entschlossenheit, ihre „Wiederaneignungen“ von Land keinesfalls auszusetzen.

Die Landesregierung von Chiapas sitzt zwischen allen Stühlen. Denn von dem regierungsamtlichen Verzicht auf Räumung sind die von den Besetzungen betroffenen Viehzüchter begreiflicherweise nicht sonderlich angetan. Als Trostpflaster stellte ihnen der Gouverneur „in Kürze“ Haftbefehle für Landbesetzer in Aussicht und ließ über die Medien verkünden, man sei nicht bereit, sich der „illegalen“ campesino-Gewalt zu beugen und die besetzten Gründstücke aufzukaufen. So könnten nach Aussage des Landesjustizministeriums schon in den nächsten Tagen alle nicht der CEOIC zugehörigen Landbesetzer verhaftet werden. Eine Abordnung von 30 chiapanekischen Viehzüchtern wird am kommenden Dienstag von Präsident Salinas empfangen. Ursprünglich hatten sie das Gesuch um eine Audienz in der Hauptstadt mit einem „motorisierten Protestmarsch“ mit 3.000 Teilnehmern unterstreichen wollen, wovon sie aber Abstand nahmen.

Bereits in den letzten Wochen haben die aufgebrachten Viehzüchter immer wieder zu den bewährten Methoden zivilen Ungehorsams gegriffen – mit Straßenblockaden legen sie Verkehrswege lahm, mit der Besetzung öffentlicher Gebäude wollen sie Druck auf Funktionäre machen. Und wenn ihnen die Regierung gar zu „passiv“ ist, werden sie nachdrücklicher. So wurde der Präsident einer lokalen Menschenrechtsorganisation, Enrique Pérez López, am 10. April von Landbesitzern erst gewaltsam entführt und Stunden später der Polizei als angeblicher Rädelsführer übergeben. Schon vor Beginn der Untersuchungen bezeichnete Landesstaatsanwalt Arturo Becerra Martinez den Menschenrechtler öffentlich als „Kriminellen“, um ihn dann am 16. April als vermeintlichen Landbesetzer formal in Haft zu nehmen. Anne Huffschmid