„Damit es kein böses Erwachen gibt“

■ Eckart Kuhlwein, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Schleswig-Holstein, zur Kritik an Scharpings Programm

Eckart Kuhlwein (56), gehört dem geschäftsführenden Landesvorstand der schleswig-holsteinischen SPD an.

taz: Ist Rudolf Scharping zaghaft, konturenlos und langweilig?

Langweilig oder nicht: manche Wähler mögen Leute, die nicht jeden Tag mit einer neuen spritzigen Idee auftauchen.

Sie legen sich finanziell mit den oberen Zehntausend und der Beamtenschaft an. Sechs Millionen ADAC-Mitglieder werden Ihr Tempolimit verfluchen. Gewinnt man so Wahlen?

Wir brauchen einen sozialen Lastenausgleich, der 1990 versäumt worden ist. Die oberen zehn Prozent der Vermögensbesitzer verfügen über vier Billionen Mark. Denen tut das überhaupt nicht weh, wenn man ihnen 1,5 Prozent über zehn Jahre hinweg fortnimmt. Das wäre ein Aufkommen von 600 Milliarden Mark, mit dem man den Fonds Deutsche Einheit finanzieren könnte, und die öffentlichen Hände hätten wieder Spielraum.

Grundlage Ihrer Finanzreformen bleibt aber Scharpings Ergänzungsabgabe? Die wollten die Holsteiner doch eigentlich sozial staffeln ...

Das hatten wir vorgeschlagen. Dann wären auch die Einkommen unter 60.000 Mark steuerpflichtiges Einkommen mit herangezogen worden. Einige haben das als kontinuierlichen progressiven Tarif interpretiert. Wir haben das präzisiert ...

... und am Ende das Scharping- Modell akzeptiert, so wie es ist. Die Erhöhung der Mineralölsteuer sei ein „Killerthema“, hat SPD- Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen gesagt. Wie sehen Sie das?

Wir konzentrieren uns auf den ökologischen Umbau des Steuersystems. Eine Energiesteuer soll auf fossile Brennstoffe ebenso erhoben werden wie auf Atomstrom. Irgendwann würde dann auch die Mineralölsteuer drankommen, dafür sollen die Einkommen entlastet werden. Diese Schritte müssen im Entwurf des Parteivorstands konkretisiert werden.

Fahren Sie selbst Tempo 120? Scharping hat mal gesagt, er fahre 100 – aber auf jeder Achse.

Ich fahre meist 120, 130. Das bedeutet auch weniger Streß. Ich glaube übrigens nicht, daß alle ADAC-Mitglieder diese verrückte Raserei auf deutschen Straßen gut finden. Das ist eine Minderheit. In der Gesellschaft hat sich längst herumgesprochen, daß es unsinnig ist, damit Chaos auf den Straßen zu produzieren.

Wann soll der Liter Benzin fünf Mark kosten?

Vorläufig nicht. Man muß einen Stufenplan machen, vielleicht über zehn Jahre.

Herr Verheugen möchte den WählerInnen „Sicherheit“ bieten. Das tun alle diese Finanzmodelle ja nun nicht gerade ...

Hier gibt es einen Dissens in der Strategie zwischen uns, Teilen der Bundestagsfraktion und der Parteiführung. Nämlich in der Frage, was trauen wir uns in den nächsten vier Jahren zu – und was nicht. Wir müssen die Einnahmesituation verbessern und das dem Wähler auch vor der Wahl sagen, damit es hinterher kein böses Erwachen gibt. Interview: kotte