Basis will Scharping Profil verpassen

■ In Schleswig-Holstein rebelliert die SPD gegen den von der Parteispitze verordneten Schmusekurs

Eckernförde (taz) – Genosse Scharping unter Druck: Hart und heftig kritisierten die rund 170 Delegierten des SPD-Landesparteitags am Samstag in Eckernförde das Regierungsprogramm ihres Bundesvorsitzenden, sie verabschiedeten zahlreiche Änderungsanträge. Der schleswig- holsteinische SPD-Landtagsabgeordnete Konrad Nabel zur Motivlage: „Wir wollen verhindern, daß Rudolf Scharping und die Parteiführung die Chance für den Wechsel bei der Bundestagswahl im Oktober durch Zaghaftigkeit, Konturlosigkeit und Langeweile verspielen.“ Vergebens hatte Gastredner Rudolf Dreßler, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion, Scharpings Programm verteidigt und gemahnt, die SPD brauche mehrheitsfähige Beschlüsse, um in Bonn wieder die Regierung zu übernehmen.

Entgegen Scharpings Vorstellungen beschloß der Landesparteitag mit großer Mehrheit eine Vermögensabgabe, eine Arbeitsmarktabgabe für Beamte, Freiberufler und Politiker, darüber hinaus eine Energiesteuer und ein Tempolimit. Die nördlichen GenossInnen haben nach fünf Jahren Engholm psychologischen Nachholbedarf, das linke, progressive Profil zu schärfen, meinte ein Beobachter. „Wir brauchen ein überzeugendes Programm, das die ökologische und soziale Modernisierung vorantreibt“, hieß es in einem Änderungsantrag. Der Entwurf des Bundesvorstandes sei verschwommen und widersprüchlich, erklärte der Bundestagsabgeordnete Eckart Kuhlwein. Wer über soziale Gerechtigkeit rede, müsse auch sagen, wie umverteilt und wie es bezahlt werden soll, ergänzte der Landesvorsitzende Willi Piecyk. Für die Delegierten gehört dazu die Schaffung einer Vermögensabgabe in Höhe von 1,5 Prozent pro Jahr. Bezahlen sollen diese Abgabe die oberen zehn Prozent der Vermögensbesitzer in der Bundesrepublik, die nach Angaben von Kuhlwein rund 50 Prozent der Vermögen besitzen. „Wir werden bei den Superreichen abkassieren.“ Pro Jahr flössen so 60 Milliarden Mark zusätzlich in die Staatskasse, und „die Vermögenden zahlen das aus der Portokasse“. Mit der Einführung einer Energiesteuer sollen ökologische Investitionen finanziert werden.

Außerdem müssen laut Beschluß des Parteitages die Energiepreise schrittweise an die wirklichen Kosten herangeführt werden. „Und daß zwischen Schadstoffausstoß, Verkehrstoten und Geschwindigkeit ein Zusammenhang besteht, weiß inzwischen jedes Kind“, meinte Landeschef Piecyk. Mit der Formulierung im Regierungsprogramm „situationsbezogene Begrenzung der Geschwindigkeit“ könne er wenig anfangen, so Piecyk. „Wenn wir damit Tepolimit meinen, sollten wir das auch sagen.“ Geht es nach den Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein, gehört deutlich ins Programm geschrieben: auf Autobahnen 120 Kilometer pro Stunde und auf Landstraßen 90.

Konkreter möchten es die Genossen im nördlichsten Bundesland auch für den Wohnungsbau, 550.000 Wohnungen sollen jährlich gebaut werden. Nach dem Regierungswechsel soll es ein Gesetz geben, das Frauenförderung nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern auch in der Privatwirtschaft festschreibt. Kersten Kampe

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