Visionen von Fleisch und Nerven

■ Dagmar Rauwald, eine Entdeckung im Bereich der Malerei, in der Galerie von Loeper

Es gibt doch noch Beweise, daß die Malerei ein keineswegs zuende erkundetes Territorium ist. Die Hamburgerin Dagmar Rauwald ist die Entdeckung, die die Galeristin Gabriele von Loeper jetzt in einer ersten repräsentativen Einzelausstellung präsentiert. Die Malerin, einst Studentin bei den HfbK-Professoren Bernd Koberling und Sigmar Polke, erforscht in zeitintensiver Maltechnik mit traditionellen Ölfarben die Grenze zwischen farblicher Abstraktion und inhaltlich zu bestimmender Figuration.

Im suchenden Prozeß werden die Widerstände in Material und Thema möglichst dicht aufeinander gezwungen, bis sich eine neue Körperlichkeit definiert. Manche Bilder vermitteln im Gegeneinander der Farben und Bildteile eine scheinbare Bewegung, andere zeigen Formen, denen durch den Titel eine ganz neue Anatomie zugeschrieben wird. Diese beunruhigenden Bilder fordern einen individuellen Zugang, er wird für das Erleben eines jeden Betrachters immer verschieden sein.

Doch die 30jährige Künstlerin hat die Bedeutung ihrer fertigen Bilder genau festgelegt. Im Gespräch und in erläuternd bezeichneten Begriffsskizzen umreißt sie ihr Thema der Körpererkundung. Zu jedem Bild gibt es Kohlezeichnungen, auf denen in großen Tuschbuchstaben die eigene biologische Bilddeutung der Künstlerin dargelegt ist. Diese nachträglich zu den fertigen Bildern erstellten Strukturskizzen sind ein völlig neues Mittel einer vom Künstler selbst gestalteten Didaktik zur Bildaussage. Und sie sind noch mehr: Von jeglichem Bildcharakter distanziert, besetzten sie direkt auf die Wand gemalt die Galerie und machen den Raum selbst zu einem Denkraum.

Für die Künstlerin ist das gesamte Bild ein Körper, den sie im Malen suchend erforscht. Die Bildfläche zeigt dann ein nach außen gebrachtes Innenleben. Sichtbar werden Visionen von Knochen, Fleisch und Nerven und die Neuentdeckungen der Malerin wie „Dicker Hals“, „Geschlechtsknorpel“, „Stirnhirn“ und „Verteidigungspolster“. Solche Begriffe gewinnen für die formal abstrakte Malerei jene von den technisch oft äußerst schlecht malenden Surrealisten besetzten visionären Orte zurück. Aus der grenzüberschreitenden Suche nach den Landschaften der Psyche enwickelte sich nach der Darstellung von Traumbildern im Action Painting die Suche nach dem unmittelbaren Ausdruck des Körpers, die sich im Laufe der 50-er Jahre in immer beliebigere Malgesten verlor.

Dagmar Rauwalds vielschichtige Malerei entkommt dem Problem der Gegenstandslosigkeit durch die Arbeit an der Innensicht des psychischen Körpers. Sie bezeichnet ihre Kunst als Psychomechanik; es ist eine Malerei, die die Trennung von Kopf und Körper thematisiert und aufhebt. Und das ist etwas, was zur Zeit wohl gebraucht wird: schon vor der Vernissage in der Galerie Gabriele von Loeper waren einige Bilder von Dagmar Rauwald verkauft.

Hajo Schiff

Mittelweg 152, Di-Fr 13-18 Uhr, Sa 11-14 Uhr, bis 30. Mai