Angst vor schwarzen TV-Bildschirmen

■ Ägyptens islamistische und laizistische Intellektuelle übten den Dialog

Kairo (taz) – Beinahe täglich sind in Ägypten Opfer des Kleinkriegs zwischen Regierung und militanten Islamisten zu beklagen. Beobachter befürchten, daß in dem Land am Nil bald algerische Verhältnisse einkehren könnten, wenn nicht die rivalisierenden Seiten Anstalten machen, den Konflikt ohne Waffen auszutragen. In dieser Atmosphäre startete in den letzten zwei Wochen ein bisher einzigartiger Versuch, islamistische Intellektuelle und ihre linken und liberalen Kollegen an einen Tisch zu bringen. Mehr als 30 Stunden lang stritten sich Islamisten und die Befürworter einer strengen Trennung von Religion und Politik in neun Veranstaltungen über die Rolle der Frau in der Gesellschaft, Fragen der Kunst, der ökonomischen und politischen Krise, der Korruption und der Gewalt.

Leer blieben bei allen Veranstaltungen die für Regierungsvertreter reservierten Plätze. Die ägyptische Staatsführung störte sich offensichtlich an den Organisatoren der Reihe. Denn die Initiative zum Dialog ging ausgerechnet von den offiziell verbotenen Muslimbrüdern und dem von ihnen kontrollierten Anwaltsverein aus. Die als gemäßigt geltenden Islamisten kamen damit der Regierung zuvor, die bereits vor Monaten die Absicht verkündet hatte, einen „Nationalen Dialog“ zu organisieren. Seitdem wurde wenig unternommen, um ihn auch stattfinden zu lassen. Ursprünglich war die Veranstaltung für Februar angesetzt, nun ist von Ende Mai die Rede. Vorgesehen ist dann, alle legalen Parteien, Gewerkschaften, Berufsverbände und Universitäten einzuladen. Damit wären die Muslimbrüder und Kommunisten als illegale Organisationen ausgeschlossen.

Trotz der Regierungsabstinenz zeigten sich die Veranstalter zufrieden. „Eine breite Palette von Gruppen konnte überzeugt werden, am Dialog teilzunehmen, und das war der grundsätzliche Erfolg“, erklärte der junge islamistische Anwalt Essam Sultan, der die Veranstaltungen in einem Fünfsternehotel in Kairo koordiniert hatte. Die meisten linken, liberalen, nasseristischen und islamistischen Oppositionsgruppen waren vertreten. Auch christlich-koptische Organisationen schickten Vertreter zu den Veranstaltungen. Für die militanten Islamisten nahm der Rechtsanwalt der Gamaat al- Islamiya, Mansur al-Ziayat, teil. Der linke Politologe Ahmad Abdallah sprach von einem „einzigartigen demokratischen Experiment angesichts wachsender Polarisierung und politischen Terrors“.

Während man sich über den Erfolg der Form des Dialogs einig war, gingen bei den Inhalten die Meinungen auseinander. „Wir haben uns bei den Themen Frauen und Kunst angenähert“, sagte der Islamist Essam Sultan. Die Islamisten hätten bewiesen, daß sie ein breites Verständnis von Kunst besäßen und daß sie eine aktive Beteiligung der Frau an gesellschaftlichen und politischen Prozessen wünschten.

„Wenn ihr Islamisten das Land regiert, werdet ihr euch gegen jegliche Kunst wenden, und die Bildschirme der Fernseher werden schwarz bleiben“, prophezeite dagegen einer der linken Teilnehmer. Die Islamisten gaben sich Mühe, sich als Kunstförderer darzustellen. „Wir haben schon seit langem unsere eigenen Theatergruppen“, konterte einer von ihnen. Die Frage Abdallahs, warum die Islamisten etwa beim Ballett nur die Tatsache kritisieren, daß dort Frauen mit Röcken, die über dem Knie enden, tanzten, und ansonsten die Kunst selber, die Choreographie oder die Musik, nicht zur Kenntnis nähmen, blieb unbeantwortet im Raum stehen.

Trotz des Bekenntnisses des Sprechers der Muslimbrüder, Ma'mun al-Hudeibi, zum Parteienpluralismus bleiben viele der Anwesenden skeptisch. „Ich traue dem neuen demokratischen Gesicht der Muslimbrüder noch nicht. Wir christlichen Kopten sind keine politische Gruppe, aber wir haben das Problem, daß in Ägypten immer Religion mit Politik vermischt wird“, bemerkte George Agayby, Mitglied einer christlichen Selbsthilfeorganisation. „Vielleicht haben die Islamisten bei dem Dialog doch gesehen, daß sie einige Aspekte der Moderne neu überdenken müssen“, hoffte Abdallah. Die meisten Beteiligten zeigten sich entschlossen weiterzumachen. Der Anwaltsverein hat unterdessen angekündigt, den Dialog nun einmal monatlich fortzusetzen. Karim El-Gawhary