piwik no script img

Die Zeit der Höchstmieten ist vorbei

Das Mietgefüge gerät außer Rand und Band: Teure Dachgeschosse stehen leer, und Büromieten sind um ein Drittel gefallen / Bei billigen Wohnungen explodieren Mieten bei Neuverträgen  ■ Von Uwe Rada

Der Mietenmarkt ist aus den Fugen. 8.664 Mark Miete verlangt zum Beispiel die Firma Engel & Völker für eine 228 Quadratmeter große Wohnung in der Zehlendorfer Pücklerstraße. In Prenzlauer Berg bietet die Berliner Morgenpost in ihrer jüngsten Samstagsausgabe „Dachgeschoßmaisonetten“ in der Dunckerstraße für 25 Mark den Quadratmeter an. „Rekordmieten“ für Berlin, schockte der „Verband Deutscher Makler“ (VDM) in der vergangenen Woche die Berliner Öffentlichkeit und wußte über weitere Horrormieten von 40 Mark je Quadratmeter im Westteil und 30 Mark in Ostberlin zu berichten. Doch nicht immer, zeigt die Zehlendorfer Pücklerstraße, sind die Wohnungen auch an die Mieter zu bringen. Seit Monaten steht die Wohnanlage in der Nähe des Oska-Helene-Heims leer. Ob für Mieten dieser Preisklasse kein Markt mehr vorhanden sei, darüber wollte die eigens angeheuerte PR-Firma der Vermieter freilich keine Auskunft geben.

Daß die Mieten in Berlin ins Exorbitante steigen, findet im Gegensatz zu den Verbandskollegen vom VDM der weitaus größere „Ring Deutscher Makler“ (RDM) „reine Panikmache“. Solche Mieten seien „völlig aus der Luft gegriffen“ und nicht „ortsüblich“, fand dessen Berliner Vorsitzender Wolfgang Gruhn. Ähnlich äußerte sich auch die Senatsbauverwaltung. Das Marktsegment, in dem es angeblich diese enorm teuren Mieten gäbe, kabelte Bausenator Nagels Pressestelle, umfasse in Berlin nicht mehr als einige hundert Wohnungen im freifinanzierten Wohnungsbau. Die Mieten für die weitaus meisten der in Berlin vorhandenen 1,7 Millionen Wohnungen lägen dagegen im Schnitt noch immer „unter dem Niveau vergleichbarer westdeutscher Großstädte“.

Der Mietenstreit wird womöglich erst im Mai zu Ende sein. Dann nämlich soll der aktuelle Mietspiegel der Hauptstadt veröffentlicht werden. Noch allerdings wird munter weitergezerrt. Nach „aktuellen Zahlen“, meint die Bauverwaltung, liege die typische Altbaumiete in Berlin mit 5,90 Mark je Quadratmeter immer noch deutlich unter dem Hamburger Wert bei knapp zehn Mark. Der Berliner Mieterverein hingegen stellte fest, daß bei Neuvermietungen Preissprünge von 30 bis 40 Prozent zu verzeichnen seien. Die Erstellung des Mietspiegels, verriet Mietervereins-Geschäftsführer Vetter, zeige, daß sich die Mietschraube weiterdrehe. Von einer „Beruhigung“, meinte Vetter, könne demnach keine Rede sei. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) pflichtete dem bei: Die Mieten, so eine Sprecherin, seien in den vergangenen beiden Jahren um durchschnittlich 15 Prozent gestiegen.

Dessen ungeachtet zeichnet sich in einem anderen „Marktsegment“, dem teuren freifinanzierten Wohnungsbau, ein deutlicher Rückgang ab. Von 1992 bis 1993, meinen Branchenkenner, seien die Mieten hier um 20 Prozent gefallen. Selbst in attraktiven Lagen, meint RDM-Chef Wolfgang Gruhn, seien die vor einiger Zeit noch üblichen 25 Mark „kaum mehr zu erzielen“. Insbesondere im Dachgeschoßausbau stehen viele Wohnungen leer. Der RDM spricht von 300 bis 400, der Berliner Mieterverein gar von „Tausenden“. In einigen Fällen, sagt die Kreuzberger Baustadträtin Erika Romberg, gingen die Vermieter mit ihrer Forderung schon mal auf 15 Mark runter. Der Großteil der Vermieter versuche allerdings durch die Verzögerung der notwendigen Bauabnahmen drohenden Verfahren wegen ungenehmigten Leerstands zu entgehen. Wie viele Dachgeschoßwohnungen tatsächlich leerstehen, wird im übrigen weder bei der Bauverwaltung noch bei den Bezirken statistisch erfaßt.

Den Trend zum Preisnachlaß für Höchstmieten bestätigen auch die Bezirksämter. „Vor zwei bis drei Jahren“, sagte ein Mitarbeiter des Reinickendorfer Wohnungsamtes zur taz, habe man noch gesagt, es fehle an teurem Wohnraum. In den vergangenen zwölf Monaten hingegen habe sich ein Problem mit dem Leerstand ergeben. Daß das Angebot an teurem Wohnraum die Nachfrage übersteigt, wissen auch die Makler. Die nämlich klagen darüber, daß bei Mieten über 22 Mark oft kein Besichtigungstermin mehr zu vereinbaren sei. Bei einer Kostenmiete von derzeit 35 Mark pro Quadratmeter droht vielen Wohnungsbauern damit ein Minusgeschäft: Schon bei 23 bis 25 Mark, sagt Makler-Guru Willi Bendzko, werde es für die Anleger im Wohnungsbau eng. Daß sich – ähnlich wie bei Büroflächen, wo die Mieten von 1992 bis 1993 um 28 Prozent gefallen sind – auch im freien Wohnungsbau viele Investoren verkalkuliert hätten, bestätigte auch Wolfgang Gruhn vom RDM. „Mittlerweile“, so Gruhn, „geht Kalkulation wieder vor Spekulation.“ Das gilt offenbar auch für den Berliner Senat. Statt den Hausbesitzern mit Hilfe des öffentlichen Förderprogramms Dachgeschoßausbau für 500 Wohnungen wie geplant 16 Millionen Mark in den Rachen zu werfen, wurde dieser Titel im Nachtragshaushalt gestrichen. Ersatzlos.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen