Ende einer Dienstfahrt

■ Als Freigänger grüßen ein letztes Mal: Jürgen Gottschlich, Elke Schmitter und Michael Sontheimer. Nach zwei Jahren kollektiver Chefredaktion eine kleine Bilanz aus der Froschperspektive

Die eine befand sich auf den Golanhöhen, der andere in den Niederungen der Tagesarbeit, als der Dritte im Bunde gefeuert wurde. Der Vorstand der taz hat Michael Sontheimer am Freitagnachmittag, nicht allein für ihn überraschend, „aus der Chefredaktion abberufen“.

Eine Redaktionsversammlung am Montagabend (an der allerdings, in guter taz-Tradition, auch viele nichtredaktionelle Mitarbeitende teilnahmen) sollte Licht in die dunklen Entscheidungswege bringen, die (ganz entgegen der taz-Tradition) kompakt, effizient und schnell durchlaufen wurden: Den Unmut in der Redaktion über Michael Sontheimers Geburtstagsartikel zu fünfzehn Jahren taz in der Samstagsausgabe hatte der gewählte und geschäftsführende Vorstand der Genossenschaft „die tageszeitung“ in eine Entscheidung gebündelt und dieselbe auch flugsen Fußes umgesetzt. Jürgen Gottschlich und Elke Schmitter haben daraufhin am 18. 4. ihren Rücktritt erklärt.

Das klingt nach Familienstreit, und das ist nicht einmal ganz falsch. Was dessen Ausgang für die taz bedeutet, ist immerhin keineswegs ausgemacht: nach Freud begann die Kulturleistung der Menschheit mit der Tötung des Vaters und dem anschließenden Verzehr der Leiche (wir wünschen guten Appetit und Löwensenf). Aber im Ernst: verfahrensrechtlich gesprochen, hätte die Redaktion mit einem Veto die so eilige Entlassung Sontheimers rückgängig machen können; sie hat dies nicht getan und damit den Rücktritt der gesamten Chefredaktion bestätigt. Unsere gemeinsame Abdankung ist einerseits der Tatsache geschuldet, daß wir uns als Kollektiv verstanden und gearbeitet haben, sie ist andererseits aber auch Ausdruck unseres Protestes gegen die Form, in der ein Mitarbeiter der taz verabschiedet wurde: ohne Debatte, ohne Rücksprache und ohne Rücksicht.

Die Vogelperspektive steht keinem Beteiligten zu Gebote. Aus unserer Froschperspektive (Dornröschen, einmal anders herum erzählt) gibt es zweierlei Gründe für jene Distanz zwischen Teilen der Redaktion und der Chefredaktion, die laut Analyse des Vorstands zu einer „Lähmung der Arbeit“ geführt hat.

Die Fährnisse der Gruppendynamik

Da ist zunächst die Gruppendynamik, kathartisch und schwer durchschaubar: die Einführung von Chefstrukturen hat in der taz Wucherungen gegenseitiger Projektionen erzeugt. Eine Redaktion, die in den Unübersichtlichkeiten der Gegenwart eine zukunftsweisende, konzeptionell starke Führung erhofft, wird konfrontiert mit drei Personen, die es in der Ansprachenkultur, ihrer Mentalität und Neigung entsprechend, nicht weit gebracht haben und denen jene Überzeugungskraft fehlt, die auch falsche Überzeugungen begnadigt. Eine Chefredaktion, die eher skrupulös (und sicher nicht selten am falschen Platz) von ihren Entscheidungsbefugnissen Gebrauch macht, trifft auf eine Redaktion, die sich gerade dann gern an die selbstverwaltete Tradition der tageszeitung erinnert...

Michael Sontheimer hat, nach sieben Jahren bei der Zeit 1992 als quasi Unbekannter (zurück)kommend, naturgemäß die anspruchsvollsten Projektionen auf sich gezogen; infolgedessen war er Adressat der größten Hoffnungen und Enttäuschungen. Seine Kündigung, zunächst als symbolische Opferung gedacht und inszeniert, ist gerade deshalb von den „nicht betroffenen“ Kollegen in der Chefredaktion nicht hinzunehmen. Denn die beschriebene gruppendynamische Dialektik trifft, wenn auch milder und gemütlicher, ebenso Verantwortungsträger mit Heimbiographie.

Der politische Gehalt der Auseinandersetzung

Da ist andererseits auch ein politisch-publizistischer Konflikt: eine Chefredaktion, die die Existenzberechtigung der taz an eine Kompetenz der Abweichung – ästhetisch wie inhaltlich – knüpft, trifft auf eine Redaktion, welche die tatsächlichen Möglichkeiten dieser tapferen kleinen Zeitung zur Unruhestiftung, zum Aufruhr des Denkens und der Sinne nach ihrer Einschätzung oft nur bescheiden nutzt. Dieselbe hat außerdem, der Bilanz der vergangenen Tage folgend, die Chefredaktion allzuoft als widersprüchlich, diffus, aktionistisch erlebt – und ist in den dezidiert politischen Ressorts außerdem häufig anderer Überzeugung.

Das Dilemma als gemeinschafts- und trennungsstiftend

Das Dilemma, das beide Teile verbunden hat und jetzt zu ihrer Trennung beiträgt: jedes radikale neue Konzept der taz, jede einschneidende Veränderung dieser Zeitung riskiert – in der anhaltend prekären Finanzsituation der taz, die zu ihrer Finanzierung fast ausschließlich auf ihre Leserschaft angewiesen ist – einen Auflagenrückgang und damit das Ende des Projekts. Eine Chefredaktion, die permanent zu internen und publizistischen Kompromissen verpflichtet ist – weil kein Geld da ist, das Blatt zu erweitern, weil die Gehälter der taz personelle Ergänzungen ausschließen –, muß auf große Worte verzichten, denn große Taten könnten keineswegs folgen.

Das pragmatische Lavieren einerseits, der Wunsch nach klarer Führung andererseits schließen sich vermutlich auf die Dauer aus. Vielleicht kann unser Rücktritt auch einer Neuorganisation in der Redaktion dienen, die diesen Antagonismus entschärft.

Allen Bedenkenträgern, deren graumelierte Stimmen wir jetzt schon im Ohr haben („Diese Linken, die ihre Kinder fressen...“, „Diese Selbstverwaltung, die immer destruktiv agiert“), halten wir dennoch entgegen: Die taz gibt es nun, fast allen Prognosen widersprechend, schon fünfzehn Jahre. Auch wenn die hier besprochenen Entscheidungen in Form und Tempo Konzerneigenschaften aufweisen, sind sie doch demokratisch bestätigt. Sie haben damit eine Würde, die jenseits ihrer Richtigkeit oder Falschheit liegt.

Die letzten guten Wünsche für die Zukunft der taz

Demokratie ist schön, macht aber viel Arbeit. Wir wünschen der taz Entschlossenheit, Energie und Enthusiasmus dafür. Unsere Zeit hier waren Jahre mit Blattgoldrand – trotz äußerst beschränkter Ressourcen in nahezu jeder Hinsicht. Die politische Entwicklung seit 1989 bestätigt die Notwendigkeit einer linken Tageszeitung – in häufig leider unerwünschter Weise – beinahe täglich neu. Für die notwendige Verbindung von aufgeklärter Demokratie und lebendiger Öffentlichkeit bildet die taz ein kleines, jedoch notwendiges Scharnier: mit Kratzspuren und vielen Kanten, und an genau der richtigen Stelle. Öffentlichkeit braucht Information, und Information ist kybernetisch wie politisch das Gegenteil von Ordnung und Bestätigung. Die Konzentration von Macht, die einer freien Gesellschaft entgegensteht, ist gerade durch ihre ordentliche, beruhigte wie diskrete Gerinnung in den Institutionen des Gewohnten gefährlich.

So hoffen wir, daß die taz künftig mehr denn je Unordnung garantiert: ungeduldige Aufklärung, ästhetische Überschreitung und politisches Engagement für jene Mitglieder der Gesellschaft, deren Stimmen die Marschmusik des Alltags übertönt.