Sieben Tage im Koma

Am Schauspiel Essen wurde das erste Fußballstück der Theatergeschichte uraufgeführt. Jürgen Bosse inszenierte Klaus Pohls Auftragsarbeit „Manni Ramm 1“, das Melodram eines mißglückten fränkischen Fußballerlebens  ■ Von Jürgen Berger

Schon im Kindergartenalter traf er zum ersten Mal das Tor, der A- Jugend entwachsen, folgte der kurze Zwischenaufenthalt in der fränkischen Provinzmannschaft, wo ihn die Bundesligaeinkäufer nicht übersehen konnten. Also ging's rein in die Achterbahn und raus in den Hexenkessel. Da der Ball, dort das Tor und dazwischen immer nur ein Gedanke: Drauf und rein ins Tor mit der Kirsche, bis zur ersten Berufung in die Nationalmannschaft und dem ersten Karriereknick. Kein Tor, nirgends, und dann auch noch das Interview – er versaut es sich endgültig mit den Fans. Bis dahin geht es sehr schnell in Klaus Pohls neuestem Stück „Manni Ramm 1“. Der unaufhaltsame Aufstieg des Kickers mit dem Torriecher (ein Netzer ist er nicht, eher ein Klopper) kommt als Nummernrevue daher, von der man alles andere als Tiefgang erwarten sollte.

Pohls Auftragsarbeit für das Essener Schauspiel ist schnell geschriebenes Gebrauchstheater, was Schauspielchef Jürgen Bosse unterstreicht, indem er eine als Polizeicombo maskierte Rock-, Blues- und Jazzband über der Bühne installiert. Da thronen sie und treiben das Ganze voran, können letztlich aber doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß aus dem ersten deutschen Bundesligamelodram in weiten Teilen ein Manni Atemlos geworden ist. Viel anzufangen wußte Klaus Pohl mit seiner Zentralfigur nicht, zwangsläufig, denn der Jungkicker und entfernte Vetter des „Karate-Billi“ (Pohls von der Stasi kaltgestellter Leichtathletik-Champion, der nach der Wiedervereinigung als Racheengel wiederkommt) hat biographisch so gut wie nichts vorzuweisen. Das mag ein Shootingstar so an sich haben, daß da einer mit dem Schädel durch die Wand will und nach einer Kopfballattacke sieben Tage im Koma liegt, ist allerdings nicht abendfüllend.

In Essen pflanzt sich das Grundproblem auf die Bühne fort. Ansätze, aus dem jungen Ramm eine Figur zu machen, erschöpfen sich in einer kurzen Elvis-Attitüde, so daß man mitten im Ruhrpott, im Herzen der Liga, immer darauf wartet, ein Schumacher oder Stein, Lienen oder Netzer möge aus der Tiefe des Raums auf der Bühne erscheinen.

Daß sie nicht kommen, hat natürlich etwas mit dem tatsächlichen Zustand der Liga zu tun, in der Charakterköpfe selten geworden sind. Die Leerstelle im Zentrum des Stücks entbehrt insofern nicht einer gewissen Realistik, interessant wird es allerdings nur, wenn Pohl seine Geschichte auch tatsächlich szenisch einlöst. Einige Male zum Beispiel kommt es zu Begegnungen zwischen dem jungen Ramm und „Magic“-Ramm, dem Fußballer am Ende seiner Karriere, ein heruntergekommener Säufer in der Absturzkneipe, mit tief hängenden Hosen und fahrigen Bewegungen, in der Jukebox nach Karat/Maffays „Sieben Brücken“ suchend. Wenn der junge Ramm sich selbst begegnet und der alte ihn warnen will, wird es lebendig auf der Bühne.

Dieser Dimension seines Stückes vertraute Pohl allerdings nicht so recht, der alte Ramm ist zumeist nur Kommentator des Geschehens, was Jürgen Bosse dadurch aufbricht, daß er die beiden Ebenen verzahnt. Der alte Ramm ist immer anwesend, beobachtet und verliert sich im Suff (Thomas Goritzki ist einer der überzeugendsten Sauftaumler, die in letzter Zeit auf der Bühne gesichtet wurden). Hier wird es für das Theater interessant, beginnt das eigentliche Melodram eines mißglückten Fußballerlebens.

Oder bei Mannis Restfamilie, dem fettleibigen fränkischen Vadder mit den zwei weichen ts in der Mitte, so daß man immer meint, ein Wackelpudding sei gemeint, wenn er gerufen wird. Selbst trat er nie den Ball, ist aber ein größerer Stratege als jeder Profi. Von ihm stammt der unvergleichliche Satz, der Fußballer sei einerseits Einzelkämpfer und andererseits Kollektivwesen und von daher die verkörperte tragische Schizophrenie. In Essen wird aus ihm und den drei Manni-Schwestern ein Höllenquartett aus der fränkischen Enge, die den Manni in Haßliebe verfolgen, der Vadder immer kurz vor dem Infarkt, die Schwestern im Kampf um die Vormacht.

Das hat was, genauso wie die Essener Trainervariante als Stepanovic (Stepi)-Parodie. Wenn Matthias Kniesbeck am Spielfeldrand die Augen rollt, schreit, taktiert, animiert, läßt das kurz vergessen, daß Pohls interessanteste Bundesligastory in Jürgen Bosses Inszenierung fast untergeht: Der Kampf des Trainers mit der aufstrebenden Managerin. Wie sie die Macht an sich reißt und wie er intrigiert, indem er sich Manni krallt, leidet darunter, daß der Kampf auf der Essener Bühne nicht mit schneidender Schärfe und Kaltblütigkeit ausgetragen wird.

Man hat sich einiges einfallen lassen, von Zeitlupe bis zu Slapstickeinlagen, das gelungene Bühnenbild öffnet sich je nach Bedarf schachtartig nach hinten und gibt den Blick ins Stadion frei, wo der Triumph warten kann, aber auch der geballte Haß der Ostkurve lauert. Klaus Pohls „Manni Ramm I“ allerdings ist ein Schnellschuß in die Ränge, kein die Abseitsfalle überlistender Steilpaß wie sein vorletztes Stück „Selbstmord in Madrid“.

Klaus Pohl: „Manni Ramm 1“. Regie: Jürgen Bosse. Bühne: Wolf Münzner. Kostüme: Erika Landertinger. Mit Michael Schütz, Thomas Goritzki, Matthias Kniesbeck, Karin Schroeder, Tatjana Clasing u.a. Schauspiel Essen.

Weitere Vorstellungen: 21., 22., 27. April, 7., 8. Mai