Rußlands Grüne: Umweltschützern droht Mord

■ Russische AktivistInnen beklagen jährlich mehr als zehn Attentatsopfer

Moskau (taz) – Mit einem Aufruf wandten sich die russischen Grünen an die Öffentlichkeit: Einschüchterungen und massive Bedrohungen gegen Umweltaktivisten nehmen zu. Selbst vor Morden, heißt es, schrecken die Gegner der Umweltbewegung nicht mehr zurück. Vorstandsmitglied Usow spricht von zehn UmweltaktivistInnen, die in jedem Jahr ermordet werden. Nur einen Tag vor dem Parteitag, der in der vergangenen Woche zu Ende ging, war Alexej Gurnew, Vorstandsmitglied der Grünen aus St. Petersburg, von einer Bande überfallen und verletzt worden.

Die Angst bei den Aktivisten der Umweltbewegung ist also nicht unbegründet. Besonders bedrohlich sei die Situation in Karelien, Komi und in der Gegend von Wladiwostok. Im Dezember 1990 war die erste grüne Aktivistin ermordet worden. Nina Sojewa hatte eine illegale Kahlschlagaktion in der Nähe von St. Petersburg recherchiert und herausgefunden, daß das Holz für den Export in den Westen bestimmt war. Von einem Verhör bei der Miliz kehrte sie nie wieder zurück. Sie soll sich in Polizeigewahrsam erhängt haben.

Iwan Blokow, früher Geschäftsführer bei den Grünen, heute bei der russischen Sektion von Greenpeace, berichtet von einem Mitarbeiter eines Naturparks, der im letzten Jahr in Karelien unter merkwürdigen Umständen ums Leben kam, und einem Mitglied der Grünen, der vor einem Jahr in der Moskauer U-Bahn vor einen fahrenden Zug gestoßen wurde. Im vorigen Jahr sei sogar das Büro der russischen Grünen in St. Petersburg beschossen worden.

Für Blokow ist klar, daß hinter diesen Einschüchterungsversuchen wirtschaftliche Interessen stehen. Während der Staat der Ausbeutung tatenlos zusieht, seien die Umweltgruppen die einzigen, die die Umweltzerstörung zu verhindern suchen. Sie ziehen gegen Umweltzerstörer vor Gericht, führen direkte Aktionen vor Ort durch, versuchen eine Öffentlichkeit zu schaffen.

Die russische Öffentlichkeit nahm kaum Notiz von dem vierten Parteitag der „Russischen Partei der Grünen“, zu dem Delegierte aus 34 Regionen Rußlands gekommen waren. Die Versammlung verabschiedete mehrere Resolutionen, darunter zur Verfassung, zur ökologischen Rolle der Gewerkschaften, zu den Rechten der Frauen und zur Rolle des Militärs. Die Forderung nach dem Recht auf Kriegsdienstverweigerung wurde ins Programm aufgenommen. Die Gewerkschaften will man unterstützen, zugleich wurde aber kritisiert, daß die Gewerkschaften die Opfer von Umweltkatastrophen nicht vertreten und die Interessen der Rüstungs- und Atomindustrie akzeptieren. Wie das angesichts der wirtschaftlichen Misere zu finanzieren sei, ist unklar.

Die Vorschläge des Arbeitskreises Frauen zur Gleichberechtigung der Frauen in der russischen Gesellschaft wurden ebenso verabschiedet wie die Forderung nach mehr Unterstützung Alleinerziehender. In einer weiteren Resolution fordern die Grünen vom Parlament und von der Regierung Maßnahmen gegen Müllimporte aus der ganzen Welt. Die russischen Grünen wollen sich auch in Zukunft durch konkrete Aktionen vor Ort für den Erhalt der Umwelt einsetzen. Und man will weiterhin Menschen Rechtshilfe leisten, die sich gegen umweltfeindliche Entscheidungen wehren. Im letzten Jahr habe man 20.000 Menschen unterstützt. Bernhard Clasen