Die Angst vor den Serben überwiegt

■ Nato reagiert zurückhaltend auf UNO-Vorschlag, alle UNO-"Schutzzonen" in Bosnien aus der Luft zu schützen / EU-Außenminister noch unverbindlicher als sonst / Kinkel: "Wir können nur appellieren"

Genf/Washington (taz/wps) – Konfusion und Äußerungen der Ohnmacht kennzeichneten gestern die diplomatischen Aktivitäten um eine Beruhigung der Lage in Goražde und anderen sogenannten „UNO-Schutzzonen“ in Bosnien. Nachdem UNO-Generalsekretär Butros Ghali in der Nacht zu Dienstag ein Schreiben an den Nato-Rat in Brüssel gerichtet hatte, in dem er den Rat zur Genehmigung weiterer Luftangriffe zur Sicherung der „Schutzzonen“ aufforderte, reagierte die Nato zunächst zurückhaltend: Zuerst müsse in den Mitgliedsstaaten der „politische Wille“ zu miitärischem Eingreifen deutlich werden, hieß es, und außerdem müsse vor einer Antwort der Nato auf das Ersuchen Butros Ghalis die Lage in den Schutzzonen von Nato-Experten untersucht werden.

Butros Ghali verfaßte seinen Brief nach einer Unterredung mit dem UNO-Sicherheitsrat. Es geht darum, daß Luftangriffe zum Schutz der Schutzzonen insgesamt möglich sein sollen, und nicht mehr wie bisher lediglich zum Schutz von UNO-Soldaten in den Schutzzonen. Damit sollten, so hieß es zugleich aus US-Regierungskreisen, die Kriegsparteien dazu gebracht werden, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Unklar blieb dennoch, ob es einer neuen Genehmigung durch den Nato-Rat überhaupt bedarf, zumal da zumindest in Goražde eindeutig auch UNO-Personal durch serbische Angriffe gefährdet ist, serbische Soldaten gestern eine Unprofor-Kaserne in Sarajevo angriffen und sich weiterhin 130 Unprofor-Soldaten in „Gewahrsam“ – also Hausarrest, Blockade und ähnliches – serbischer Truppen befinden. Dies dürfte ein wesentlicher Grund sein für die Zurückhaltung zumindest bei den Regierungen der Entsendestaaten der festgehaltenen Soldaten gegenüber weiteren Luftangriffen auf serbische Ziele.

So verzichteten auch die EU- Außenminister im Abschlußkommuniqué ihrer zweitägigen Sitzung in Luxemburg zum ersten Mal seit Monaten darauf, ihre traditionelle Drohung mit Luftangriffen zu erneuern. Auch eine Verstärkung der hilflosen Unprofor-Verbände bei Goražde durch Bodentruppen mit Kampfauftrag wurde laut Bundesaußenminister Kinkel auf der Sitzung als Option verworfen. „Wir können immer wieder nur an die serbische Seite appellieren, die unmenschliche Umzingelung zu unterlassen“, machte Kinkel aus der Ohnmacht der EU keinen Hehl. Die Aufforderung seines französischen Amtskollegen Juppé, die diplomatischen Aktivitäten zwischen UNO, USA, Rußland und der EU zu verbessern, um so die Lage in Goražde zu entschärfen, warf die Frage auf, was die Genannten eigentlich in den letzten Monaten gemacht haben.

In Washington gab es zunächst keine offizielle Bestätigung für einen Bericht der New York Times, wonach Clintons sicherheitspolitische Berater dem Präsidenten bei einer für gestern nachmittag anberaumten Sitzung eine Intensivierung der Luftangriffe gegen serbische Stellungen nicht nur in Goražde, sondern auch in anderen Teilen Bosniens als „vorrangige Option“ vorschlagen wollten. Clinton selber hatte sich seit Sonntag eher skeptisch über militärische Maßnahmen geäußert. azu

„Schändliche Kapitulation“

Paris (dpa) – Die internationale Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) hat den „sofortigen Rücktritt“ des UNO-Sonderbeauftragten für Ex-Jugoslawien, Yasushi Akashi, gefordert. Der Präsident des französischen Zweigs der Ärzteorganisation, Rony Brauman, warf ihm und anderen UNO-Führungsmitgliedern auf einer Pressekonferenz in Paris „systematische Lügen“ und eine „schändliche Kapitulation“ vor der serbischen Offensive auf Goražde vor. Er kritisierte insbesondere die Evakuierung der militärischen UNO-Repräsentanten aus der Stadt, darunter sieben Verbindungsoffiziere, die vom Boden aus Nato-Flugzeuge bei möglichen Angriffen leiten sollten.