Industrielle Zweckpessimisten

Während Wirtschaftsforscher zum Beginn der Hannover-Messe ein Ende der Rezession voraussagen, dämpfen Arbeitgeber die Hoffnungen  ■ Von Donata Riedel

Berlin (taz) – Wie beendet man eine Rezession? Pünktlich zur Hannover-Messe Industrie, aus deren Verlauf Experten die Zukunft für die deutsche Wirtschaft lesen können, kommt aus den Reihen der Christdemokraten die lange ersehnte praktische Antwort: die Verschrottungsprämie. Eine derartige hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Klaus Bregger, für Autos gefordert, die älter sind als zehn Jahre. 1.500 Mark vom Staat soll jeder der neun Millionen Altautohalter bekommen, der seine alte Mühle durch einen Neuwagen mit Katalysator ersetzt. Die Autoindustrie, die 1993 ein Viertel weniger Wagen verkaufen konnte als 1992, führe dann locker wieder in die Gewinnzone.

Der Mann kommt mit seinem Vorschlag zur Konjunkturbelebung zu spät. Die Rezession ist sowieso zu Ende – glaubt Horst Siebert, einer der Wirtschaftsweisen und Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Seine Kollegen vom Münchner Ifo-Institut und dem Hamburger HWWA haben ebenfalls ein leichtes Wachstum entdeckt.

Die Manager der Autoindustrie dürften auf Breggers Vorschlag sogar mit einer gewissen Nervosität reagieren. Sollte die Konjunktur zu schnell den Aufschwung schaffen, fürchten sie, mit ihren Sanierungsprogrammen auf halber Strecke steckenzubleiben: Wer akzeptiert schon den Verlust seines Arbeitsplatzes, wenn das Unternehmen satte Gewinne einfährt?

In der Automobilbranche rechnen die Manager dieses Jahr mit einer Zunahme der Produktion um fünf Prozent, wollen aber gleichzeitig weitere 4,5 Prozent der Arbeitsplätze abbauen, nachdem sie schon 1993 jede zehnte Stelle gestrichen haben.

Auch die Elektroindustriellen neigen nicht dazu, die Konsumenten zum Verschütten des Kaffees über der Computertastatur anzuregen. Ihr werden jährliche Produktions-Zuwachsraten von sechs Prozent versprochen, 1994 immerhin ein Drei-Prozent-Plus im Westen – während sie drei Prozent der Stellen loswerden wollen.

Fast überall in den Schlüsselbranchen füllen sich die Auftragsbücher, größtenteils durch Nachfrage aus dem Ausland. Weil Westdeutschland als letztes der Industrieländer ins Konjunkturtal rutschte, kann es sich jetzt von der gestiegenen Nachfrage aus den USA und einiger EU-Länder hinaufziehen lassen.

Der Wirtschaftsweise Siebert rechnet damit, daß das Bruttoinlandsprodukt (die Summe aller im Inland erzeugten Waren und Dienstleistungen) in Westdeutschland 1994 um ein Prozent und 1995 um zwei Prozent wachsen wird. In Ostdeutschland sollen die Zunahmen deutlich höher liegen: Für 1994 sagt das Institut eine Steigerung um acht und für kommendes Jahr sogar um 8,5 Prozent voraus. Die abhängig Beschäftigten allerdings werden nichts davon haben: Trotz Erholung geht Siebert von einer Arbeitslosenquote von 8,5 Prozent im Westen und 16 Prozent im Osten aus.

Als Hauptgründe für die bevorstehende Wirtschaftswende nennt Siebert die sinkenden Zinsen und die gemäßigt verlaufenen Lohnrunden. Außerdem wirkt das große Aufräumen in den Firmen: Allein in der Industrie sind Siebert zufolge seit 1991 rund 900.000 Stellen weggefallen.

Während Bundeskanzler Helmut Kohl – der nach Einschätzung sämtlicher Wahlforscher nur dann sein Amt wiedergewinnen kann, wenn spätestens im Herbst die Wirtschaft in voller Blüte steht – Sieberts Einschätzung gestern abend mit Freude in seine Messe- Eröffnungsrede aufnahm, machten die Arbeitgeber in Zweckpessimismus: Trotz erster Zeichen für eine konjunkturelle Belebung seien die notwendigen Aufräumarbeiten noch nicht beendet, mahnte Arbeitgeberpräsident Klaus Murmann. Die im Vergleich zu den USA und Japan extrem hohen Arbeitskosten in Deutschland müßten gesenkt werden, sagte Murmann vor dem deutsch-amerikanischen Wirtschaftsforum in Washington.

Neben dem Zweckpessimisten Murmann glaubt allerdings auch manch ein unabhängiger Experte nicht uneingeschränkt an den Aufschwung. Das DIW beispielsweise bewertet die schlichte Hoffnung, daß der Export allein das Land aus dem Konjunkturtal ziehen könne, als naiv: Die Bundesrepublik exportiert schließlich 80 Prozent der Ausfuhren in die EU-Länder, die auch nur langsam aus der Rezession herauskommen.

Einer Industrie allerdings könnte CDU-Mittelständler Bregger sein Rezept zur Konjunktur- Belebung andienen: der Luft- und Raumfahrt-Industrie. Denn die stürzt – Konjunktur hin oder her – wegen sinkender Nachfrage nach Flugzeugen in die Krise. Also: Nicht Altautos verschrotten, sondern Airbusse in die Luft jagen!