Nato: Denkpause statt Feuerpause

■ Serben beschießen Krankenhaus, während Nato erst in einigen Tagen entscheiden will

Genf/Brüssel/Moskau (taz/dpa) – Die Nato will die Entscheidung über Luftangriffe in Goražde oder anderen UNO- Schutzzonen frühestens in einigen Tagen treffen. Derweil haben bosnisch-serbische Verbände gestern nach UNO-Angaben das Krankenhaus der belagerten Moslem- Stadt Goražde aus Raketenwerfern beschossen. Durch die Einschläge wurden mindestens 18 Patienten getötet, erklärte in Zagreb ein Sprecher des Flüchtlingshilfswerks der UNO (UNHCR), der sich auf einen Funkspruch von UNHCR-Mitarbeitern in Goražde berief. Mindestens 15 weitere Patienten des überfüllten Krankenhauses wurden erneut verletzt. „Es sieht nach einem schlimmen Blutbad aus“, sagte der UNHCR-Sprecher. Zuvor schon hatten Amateurfunker aus Goražde gemeldet, daß die oberen Stockwerke des Krankenhauses nach mehreren Artillerietreffern ausgebrannt seien. In der ostbosnischen Enklave sind, nach Auskunft des UNHCR, seit Beginn der serbischen Offensive am 29. März mindestens 345 Menschen getötet und über 1.000 verletzt worden.

Unterdessen bemüht sich Rußland, seine am Dienstag geäußerte scharfe Kritik an den bosnischen Serben wieder herunterzuspielen. Der Nato-Rat in Brüssel erklärte nach seiner gestrigen Sitzung zwar die „grundsätzliche Bereitschaft“ der Allianz, zum Schutz von Goražde und den anderen UNO-Schutzzonen (Tuzla, Zepa, Srebrenica, Bihać) Luftstreitkräfte einzusetzen. Zunächst aber wurden Militärexperten der 16 Mitgliedsstaaten mit der „Ausarbeitung konkreter Pläne“ beauftragt. Der britische Botschafter erklärte, „in einigen Tagen“ werde die Nato „hoffentlich eine glaubwürdige Entscheidung treffen“. In einem Schreiben an Nato-Generalsekretär Wörner hatte UNO-Generalsekretär Butros Ghali am Montag den Nato-Rat aufgefordert, „das Nato-Oberkommando Süd so bald wie möglich zu autorisieren, auf Anforderung der UNO Luftwaffeneinsätze durchzuführen gegen Artillerie- und Geschützstellungen sowie Panzer innerhalb oder außerhalb der sechs Schutzzonen, die nach Feststellung der Unprofor gegen zivile Ziele eingesetzt werden“. Eine entsprechende Entscheidung hatte der Nato-Rat ebenfalls auf Ersuchen Ghalis bereits am 9. Februar für die damals noch von serbischen Truppen belagerte UNO-Schutzzone Sarajevo getroffen.

Während der bosnische Serbenführer Karadžić gestern behauptete, seine Truppen hätten das Feuer eingestellt, berichteten Sprecher der Unprofor und der bosnische Rundfunk übereinstimmend vom anhaltenden Beschuß Goraždes. Die am Dienstag abend von den Serben zum wiederholten Male seit Beginn ihrer Offensive vor 23 Tagen zugesagte Feuerpause werde „nicht eingehalten“, erklärte ein Unprofor-Sprecher in Sarajevo. Die Zusage war Teil eines „Vorabkommens“ für einen Waffenstillstand, das der Präsident des selbsternannten bosnisch-serbischen Parlaments, Krajisnik, und der Chef des Zivilstabes der Unprofor, der Russe Andreew, in Pale unterzeichnet hatten. Sie ist allerdings an die „Bedingung“ geknüpft, daß die Serben von der bosnischen Regierungsarmee „nicht provoziert“ werden. In dem Vorabkommen erlauben die Serben der Unprofor die Stationierung von 114 Unprofor-Soldaten in Goražde. Die Unprofor dürfe maximal 20 Schützenpanzer und 29 Fahrzeuge mit Hilfsgütern mit in die Stadt bringen. Andreas Zumach

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