Einen Schritt vorangekommen

■ Zum ersten Mal seit 31 Jahren darf der Handballbundesligist THW Kiel Meisterschaftssekt schlürfen und will es eigentlich noch gar nicht wahrhaben

Die Verantwortlichen des THW Kiel bemühten sich, den Schein zu wahren. Niemand sagte offen, was alle nach dem 23:17 gegen den VfL Bad Schwartau dachten: Der THW Kiel ist deutscher Handball-Meister 1994. „Wir sind einen großen Schritt vorangekommen“, sagte Trainer Zvonimir Serdarusic schmunzelnd und erntete Lacher.

Die Fans waren da weniger bescheiden. Schon vor der Schlußsirene feierten die 7.000 Zuschauer in der wie immer ausverkauften Ostseehalle ihr Team mit standing ovations. Als die Spielzeit abgelaufen war, stürmten sie das Parkett, Spieler und Trainer drehten eine Ehrenrunde nach der anderen.

Niemanden interessierte es, daß die Schleswig-Holsteiner theoretisch noch kurz vor ihrem vierten Meistertitel nach 1959, 1962 und 1963 abgefangen werden können. Bei vier Punkten Vorsprung, einer um 34 Treffer besseren Tordifferenz und noch zwei ausstehenden Spielen glauben selbst die größten Pessimisten nicht mehr daran, daß Verfolger SG Hameln ihnen den Titel noch entreißen kann. Am Sonntag (16.15 Uhr) nach dem Spiel gegen Rheinhausen soll der kaltgestellte Sekt auch getrunken werden.

„In dieser Saison habe ich nicht mit der Meisterschaft gerechnet. Und wir haben auch nicht gesagt, daß wir Meister werden wollen“, meint Kiels Bundesliga-Obmann Heinz Jacobsen. Mit einem geschätzten Saisonetat von drei Millionen Mark waren sie immerhin in diesem Punkt Spitze. Dennoch überrascht es, daß die Mannschaft vom Turnverein Hassee Winterbek dieses Jahr dem Anspruch endlich auch sportlich gerecht wurde.

Doch nicht allein die Tatsache, daß die Kieler nach 31 Jahren den Titel an die Förde holen, erstaunt, sondern auch die souveräne Art und Weise. Keine Mannschaft spielte so konstant. Mit 16:16 Punkten hat sie die beste Auswärts- und mit 31:1 Zählern auch die beste Heimbilanz. Die Kieler haben die mit Abstand beste Tordifferenz und kassierten auch die wenigsten Treffer.

„Den größten Anteil am Erfolg hat Noka Serdarusic. Er hat die Zahl der Trainingseinheiten von vier bis fünf auf sieben bis acht pro Woche erhöht. Zweitens hat er so intensiv Deckungsarbeit betrieben, wie ich es noch nie bei einem Trainer erlebt habe“, sagt Jacobsen. Dem „Handball-Besessenen“ Serdarusic kam die Verpflichtung von Nationalspieler Klaus-Dieter Petersen vom VfL Gummersbach zur Hilfe, der als einer der besten Abwehrspieler in der Bundesliga gilt. Den größten Schritt nach vorn machte Thomas Knorr unter dem 43jährigen Kroaten. Der 22 Jahre alte Nationalspieler beeindruckte mit seinem Siegeswillen und seiner Wurfgewalt. Mit 205 Toren steht er an der Spitze der Torschützenliste.

„Thomas hat eine Riesensaison gespielt“, lobte der schwedische Ex-Weltmeister und THW-Spielmacher Magnus Wislander, der sein bestes Jahr in Kiel erlebt. Linksaußen Christian Scheffler spielte sich in die Nationalmannschaft, Rechtsaußen Martin Schmidt wurde vom Wackelkandidaten zum Stammspieler beim THW. Und Ex-Nationaltorhüter Michael Krieter erwies sich als Rückhalt der Mannschaft mit Perspektive. „Vor der Saison hatten wir mit 23 Jahren das niedrigste Durchschnittsalter aller Bundesliga-Kader“, sagte Jacobsen.

Mit den Neuzugängen Hendrik Ochel (SG Hameln), Michael Menzel (SG Flensburg-Handewitt) und Torhüter Carsten Hein (Blau-Weiß Spandau) wollen die Kieler auch in der europäischen Champions League bestehen. Dann ist Jacobsen allerdings nicht mehr an vorderster THW-Front. Nach 14 Jahren und drei Vizemeisterschaften scheidet er als Meister aus und fungiert als Ligaausschuß-Vorsitzender: „Dieser Erfolg ist eine große Genugtuung für mich.“

Claas Hennig (dpa)