Der Brief aus der Senatskanzlei

■ Über den Hamburger Umgang mit einer Überlebenden des Holocaust

„From Ashes to Life. My Memories to the Holocaust“, so lautet der Titel ihrer Lebenserinnerungen. Anfang des Jahres erschienen sie in den USA; schon nach einem Vierteljahr waren 5000 Exemplare verkauft. Es muß nachgedruckt werden.

Auf blauem Grund blickt man in das ernste Gesicht eines Mädchens. Ein Jugendfoto der Autorin, aufgenommen in Hamburg 1938, als sie noch Cecilie Landau hieß.

Als 16jährige war sie 1941 aus ihrer Heimatstadt ins Getto Lidz, später von dort nach Auschwitz deportiert worden. Sie überstand die Selektion Mengeles, kehrte 1944 nach Hamburg zurück, ins KZ Neuengamme, zur Sklavenarbeit im Hamburger Hafen gezwungen. Im KZ Bergen-Belsen schließlich endete ihr Martyrium. Dort wurde sie von britischen Truppen befreit. Ihr Vater „starb“ im KZ Dachau, ihre Mutter verhungerte in Lodz, ihre jüngere Schwester wurde in Chelmno ermordet.

Doch erschienen Lucille Eichengreens Erinnerungen nicht nur fernab der deutschen Öffentlichkeit. Nach langem Zaudern, ihre Erfahrungen mit Deutschen vor und nach 1945 waren keineswegs vertrauensbildender Art, hatte sie sich zu einer Veröffentlichung in einem hiesigen Verlag entschieden. Im November 1992 publizierte der Hamburger Verlag Dölling und Galitz ihre Autobiographie unter dem Titel „Von Asche zum Leben“.

Dank der Initiative der Übersetzerin wollten Hamburger Schulen, das Institut für Lehrerfortbildung und die KZ Gedenkstätte Neuengamme Lesungen mit Lucille Eichengreen durchführen. Als nun aber die Senatskanzlei um die Übernahme der Flugkosten gebeten wurde, erhielt die Übersetzerin einen in jeder Hinsicht bemerkenswerten Brief.

Darin schreibt der Senatsdirektor Dr. Rohde, daß „eine sehr wohlwollende Prüfung“ ergeben hat, daß „eine weitere Unterstützung“ für Frau Eichengreen „zu einer kaum verantwortbaren Ungerechtigkeit gegenüber den seit Jahren auf die erste Einladung wartenden jüdischen ehemaligen Bürgern führen“ würde.

Gemeint ist der zweimalige Hamburg-Besuch von Lucille Eichengreen, wobei Herr Rohde vergißt, daß die erste Einladung nicht ihr, sondern ihrem Mann galt. Dessen Eltern waren übrigens ebenfalls im Oktober 1941 aus Hamburg nach Lodz deportiert und später ermordet worden. Der zweite Aufenthalt in ihrer ehemaligen Heimatstadt kam nach den Worten des Senatsdirektors lediglich „entgegenkommenderweise“ zustande.

Es ist nicht nur diese ganz den „Richtlinien für die Kostenübernahme“ verpflichtete Bürokratenlogik, die – um es gelinde zu sagen – verblüfft. Es sind Charakter und selbstgerechter Ton dieses Schreibens, der beschämt. In einer Zeit, in der unzählige Menschen in den Film „Schindlers Liste“ drängen, gerade Schüler betonen, daß durch solche Filme die abstrakte Zahl der Millionenopfer deutscher Judenvernichtung Gesichter bekommt, nach mehr als 50 Jahren in Deutschland wieder eine Synagoge brannte, in einer solchen Zeit lehnt ein Senatsdirektor die Übernahme von Reisekosten durch die Stadt Hamburg ab. Und damit die Chance, daß Schüler mit einer Überlebenden der Judenverfolgung reden und diskutieren können.

Ob der Beamte dieser Stadt auch nur einen Moment überlegt, wie ein solches Schreiben auf eine sogenannte jüdische „Mitbürgerin“ wirkt, ob er daran denkt, welche Erinnerungen beim Lesen eines solchen Briefes in ihr wach werden? Kann er sich vorstellen, wieviel Kraft und Bereitschaft notwendig ist, in die Stadt zurückzukehren, die ihr so viel bleibenden Schmerz zugefügt hat?

In der Ablehnung der Senatskanzlei heißt es, daß man gegenüber den anderen ehemaligen jüdischen Bürgern Hamburgs „zu einer Gleichbehandlung verpflichtet“ sei. Nun erwartet Lucille Eichengreen mit Sicherheit keine „Sonderbehandlung“, denn die hat sie ja vor mehr als 50 Jahren erfahren dürfen.

Wilfried Weinke