Ossis in Abwicklung

■ Grüne wollen Bündnis 90 den Minderheitenschutz nehmen / Ostler sehen nun Grundlage der Vereinigung in Frage gestellt

Vor dem Landesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen am Wochenende spitzt sich der Streit um die Ost-West-Parität zu. Die Satzung sieht vor, jeweils einen von zwei Listenplätzen für den Bundestag Mitgliedern des Bündnis 90 freizuhalten, doch verschiedene Mitglieder der ehemaligen AL und der Grünen wollen den Minderheitenschutz unmittelbar vor der Wahl der Landesliste kippen (siehe taz von gestern). Über entsprechende Anträge soll die Mitgliedervollversammlung morgen abstimmen. Die Bündnis-90-Mitglieder befürchten nun, abgewickelt zu werden.

Thomas Kreutzer, Sprecher des Kreises Pankow, ist enttäuscht darüber, wie weit einige ehemalige ALer „vom Geist des Vereinigungsbeschlusses entfernt sind“. Damals war der Minderheitenschutz das Essential für die Fusion von Bündnis 90 und Grüne. Der „Knatsch“ zeige, sagt Uwe Lehmann vom Kreisverband Weißensee, wie wichtig das Aushandeln dieser Bedingung war.

Die Gegenseite wirft dem Bündnis 90 Manipulation vor. Landesgeschäftsführer und Wessi Norbert Schellberg plädiert in seinem Antrag für ein „demokratisches Wahlverfahren“. Es sei nicht möglich, daß jeweils eine Berliner Ost- und West-Frau sowie ein Ost- und West-Mann in den Bundestag ziehen, weil es nur drei sichere Listenplätze gibt. Weil die ungeraden Plätze, also eins und drei, den Frauen vorbehalten sind, trifft es die Männer. Indirekt wirft Schellberg dem Bündnis 90 Beeinflussung vor, weil auf Platz eins keine Bündnis-90-Frau kandidiere. Deshalb könne auf den Spitzenplatz nur eine West-Frau gewählt werden, und so sei Platz zwei nur noch für Bündnis-90-Männer frei – für den der umstrittene Gerd Poppe kandidiert. Schellberg will deshalb erst Platz zwei wählen lassen, so daß unter anderem auch Alt-ALer Christian Ströbele kandidieren könnte. Der Minderheitenschutz müßte dann auf den Frauenplätzen gewahrt werden. Ursprünglich wollte Parteistratege Schellberg die Minderheit wohl auf eine Art „schützen“, bei der das Wahlverfahren unberührt geblieben wäre. An einem Januar-Samstag, berichtet Kreutzer, habe Schellberg im Café Clara in der Clara-Zetkin- Straße Poppe gebeten, sich in Brandenburg aufzustellen. Marianne Birthler sollte nach Berlin wechseln. Doch Poppe lehnte ab.

Ossi Michael Wartenberg, ebenfalls Landesgeschäftsführer, bezweifelt auch aus anderen Gründen, daß es tatsächlich um innerparteiliche Demokratie gehe. Bei allen bekanntgewordenen Vorstellungen der Bundesgrünen zu einem Schattenkabinett sei das Bündnis „nicht vorgekommen“. In Bonn seien die Posten für die Fraktion längst vergeben, will Wartenberg wissen. Am Rande eines Symposiums im März in Bonn soll Ströbele als stellvertretender Fraktionsvorsitzender gehandelt worden sein. Für Wartenberg steht die Vereinigung beider Parteien in Frage: „Es ist nicht akzeptabel, daß die Grundlage für die Fusion gekippt werden soll.“ Dirk Wildt