Clinton liefert die Pointen

Kein Mann für fundamentalistische Punk-Nostalgie: Jello Biafra, Mann der ersten Stunde im weltweiten Kulturkampf der Endsiebziger, kämpft jetzt mit Country-musik für die Revolution. Den früheren toten Kennedy interviewte Joachim Hiller

Trau keinem über 30 – das sind nämlich heute die Unberechenbarsten. Plötzlich werden sie ausfällig, attackieren deine Schmuckratte oder pinkeln dir auf den Schuh. Oder machen ein Country-Album wie Jello Biafra, einst Kopf der Punk-Klassiker Dead Kennedys, der es sich damit bei den alten Kameraden von damals genauso verscherzt haben dürfte wie bei den Jungrockisten der Grunge-Generation. Die Kriegsquerulantenfürsorge, eine mächtige Pressure- group innerhalb der taz, hat Biafra in einem gottverlassenen Winkel der Vereinigten Staaten ausfindig gemacht ...

taz: Wie kommt ein in Ehren ergrauter Punkrocker wie Jello Biafra dazu, seine gesamte Street- Credibility mit einem Country- Album aufs Spiel zu setzen?

Jello Biafra: Ich wollte schon immer ein Country-Album aufnehmen. Im Laufe der Jahre hatte ich mich mit einer ganzen Menge Leute über dieses Projekt unterhalten, darunter auch Mojo Nixon. Mojo rief mich dann letztes Jahr überraschend an und fragte, ob wir diese Idee nicht endlich in die Tat umsetzen sollten und ich sagte: „Yeah, why the hell not?“ Ich dachte mir, gerade in einer Zeit, wo jeder auf HipHop- und Techno-Metal abfährt und andere ihre fundamentalistische Punk-Nostalgie verbreiten, wäre die beste Möglichkeit, die Leute aufzuregen, ein Country-Album. Außerdem sprach erst kürzlich eine Studie der Universität von Auburn in Alabama davon, daß entgegen allgemeiner Überzeugung nicht die Texte von Rocksongs, sondern von Country-Musik zu Selbstmord führen können – weil sie so deprimierend sind. Und da ich es in letzter Zeit nicht geschafft habe, genügend Teenager zum Satanismus zu verführen, dachte ich mir, ich könnte es mal mit Country versuchen, hehehe.“

Wer, bitteschön, ist Mojo Nixon?

Mojo ist ein absolut einzigartiger Musiker, der Rock 'n' Roll der alten Sorte mit aktuellen Texten spielt und vor allem eine sehr wilde Liveshow abzieht. Früher hatte er einen eher platten „College-Humor“, machte sich über MTV lustig. Er schrieb Songs wie „Don Henley must die“, den Don Henley [früherer Sänger der Eagles; Red.] übrigens überhaupt nicht witzig fand, „Kill all lawyers“ oder „Debbie Gibson is pregnant with my two-headed lovechild“. Später, als dann seine College-Fans von ihm nur noch Scherze über MTV hören wollten, begann er plötzlich, Leute wie Oliver North zu attackieren. Er lieferte auch eine hervorragende Version des Woodie Guthrie-Klassikers „This land is your land“, dem er Textzeilen wie „This land is not for people who inherited it, but for people who own it and fence it“ hinzufügte. Da begann ich dann, mir Gedanken zu machen, ob Mojo nicht viel cooler ist, als ich ihn eigentlich eingeschätzt hatte.

Wieso habt Ihr „Love me, I'm a liberal“, diesen Phil-Ochs-Song aufgenommen?

Phil Ochs war Ende der Sechziger ein ziemlich bekannter Folksänger und wurde als der große Rivale von Bob Dylan angesehen. Während Dylan auf dem besten Wege war, ein Popstar zu werden, war Ochs viel engagierter und spielte umsonst bei allen möglichen Protestveranstaltungen. Ochs ging in seinen Texten auf aktuelle politische Themen ein, war gemeiner und nannte vor allem auch Namen. Anfang der Siebziger, ich ging noch zur High-School, beging Ochs dann Selbstmord. Irgendwann erinnerte ich mich dann an „Love me, I'm a liberal“ als großartigen Angriff auf Leute, die so lange vorgeben progressiv eingestellt zu sein, wie sie ihre konservativen Besitzstände bewahren können – die Art von Leuten, die die Demokraten normalerweise zu ihrem Präsidentschaftskandidaten machen. Die werden allgemein zwar immer als „liberal“ bezeichnet, sind aber alles andere. Ich dachte mir, daß der Song auch heute noch aktuell ist und habe ihn deshalb für Bill Clinton umgeschrieben: „I love blacks and gays and Latinos/As long as the don't move next door“.

Was ist eigentlich aus deiner „No More Censorship“-Kampagne und deinem Privatkrieg gegen Tipper Gores PMRC geworden – gerade angesichts der Tatsache, daß Al Gore, ihr Gatte, mittlerweile US-Vizepräsident ist?

Die Sache ist in den letzten Jahren im Sand verlaufen. Nachdem wir die ganzen Gerichtsschulden aus dem Skandal wegen des angeblich pornographischen Giger-Posters durch Spenden und verschiedene Aktionen zurückgezahlt hatten, versuchten wir noch eine Weile, unsere „Factsheets“ am laufen zu halten, aber irgendwie war die Luft raus. Ich und die drei anderen Leute mußten ja auch irgendwann wieder ins normale Leben zurückkehren. Wir konnten ja nicht die gleiche Arbeit leisten wie die American Civil Liberties Union, die amerikanische Bürgerrechtsunion, die Zehntausende Mitglieder hat und im Jahr wohl mehr als eine Million Dollar für ihren Kampf ausgeben kann. Aber bei meinen Spoken Word Performances ist Zensur natürlich immer noch ein Thema. Clinton und seine Freunde liefern mir Pointen genug.

Hier in Deutschland war die politische Vergangenheit von Al Gore beziehungsweise seiner Frau überhaupt kein Thema, und gerade Gore wurde wegen seines Öko-Buches auch in der Linken als annehmbarer Kandidat angesehen.

Das ist totaler Bullshit! Der Mann hat dieses Buch doch nur geschrieben, weil er sich ausrechnete, mit diesem Image des Umweltbewußten jede Menge Stimmen gewinnen zu können. Aber nachdem er Vizepräsident geworden war, war eine seiner ersten Amtshandlungen, den Weg für eine riesige Giftmüllverbrennungsanlage in Ohio freizumachen – gegen die er im Wahlkampf noch angekämpft hatte! Mir war klar, daß die neue Regierung genauso konservativ sein würde wie die alte, da sie nur so eine Art Yuppie-Version von Reagan und Bush ist. Ich habe Clinton auch nicht gewählt, sondern Ron Daniels von der Peace & Freedom Party. Ich bin sowieso der Meinung, daß die lokale Politikebene viel wichtiger ist, obwohl sich die meisten Amerikaner dafür überhaupt nicht interessieren.

Was wurde aus deiner politischen Karriere, seit du vor 15 Jahren Bürgermeister von San Francisco werden wolltest?

Ich glaube, es ist effektiver, wenn ich mein Ding durchziehe und mich an Musik und Kunst halte. Irgend jemand hat mal gesagt, daß Politiker nur herumlaufen und verschiedenen Leuten verschiedene Dinge erzählen, während ein Künstler sagen kann, was er glaubt.

Was für ein Konzept steckt denn hinter deinen Projekten der letzten Jahre? Musikalisch sind die sehr verschieden, von Industrial über Punk und Hardcore bis jetzt hin zu Country ist alles vertreten. Ist es das Bestreben, sich auf keinen Fall zu wiederholen?

Ich denke, daß ich mich auch mit den Dead Kennedys nicht wiederholt habe: Keine unserer Platten gleicht sich. Wozu es führt, wenn man dieses Prinzip mißachtet, siehst du ja heute: Eine ganze Generation von Bands nimmt die gleiche Platte immer wieder auf. Darauf habe ich absolut keine Lust. Ich selbst spiele ja kein Instrument, sondern singe nur, so daß das Studio die einzige Möglichkeit für mich ist, mit anderen Musikern zu jammen – und jedes Mal, wenn ich so was versucht habe, hat es sich als so gut herausgestellt, daß man die Aufnahmen sogar veröffentlichen konnte.

Mit „Nostalgia for an age that never existed“ dürftest du allen Hoffnungen auf eine Reunion der Dead Kennedys eine klare Absage erteilt haben.

Ich hoffe es. Und falls doch, wäre die einzig denkbare Form einer solchen Reunion für mich eine einstündige Show, bei der wir nur „Barny The Dinosaur“-Songs nachspielen, hehehe. Das wäre die einzig angemessene Dead-Kennedys-Antwort in echter Punkrockmanier. Was mich aber am meisten aufregt, ist, wie konservativ viele Punks geworden sind, gerade in musikalischer Hinsicht. Als hätten sie sich vorgenommen, jeden ihrer Songs nach den Ramones oder Hüsker Dü klingen zu lassen. Dieses Verhalten kotzt mich an! Wenn

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ich die Ramones hören will, dann lege ich die Ramones auf und nicht eine Ramones-Coverband. Wenn ich mir diese Nostalgiepunks anschaue, dann erinnert mich das an Leute, die die glückliche Fernsehwelt der Fünfziger noch mal durchleben wollen. Das ist ein neues Establishment, gegen das es zu rebellieren gilt. Wenn man Sechzehnjährigen, die von Punkrock fasziniert sind, mit so restriktiven Ansichten von Punkrock begegnet und ihrer Kreativität und Spontanität keine Chance gibt, werden sie nie dahinterkommen, was Punk außer wilder Musik zu bieten hat, und sie enden irgendwann als eine weitere dieser dummen Sex-&- Drugs-&-Rock-'n'-Roll-Bands.“

Trittst du gelegentlich live auf, zum Beispiel mit Mojo Nixon?

Kaum, denn was ich in den letzten Jahren gemacht habe, waren ja vor allem Studioprojekte. Mit Lard und D.O.A. hatte ich ein paar Auftritte, aber das war alles. Vielleicht trete ich mit Mojo auf dieser Musikmesse in Austin auf, aber das ist noch unklar. Da würden wir im Vorprogramm von Johnny Cash spielen, haha. Das wäre so ziemlich das Verrückteste seit dem Dead- Kennedys-Support von Sun Ra.

Kannst du uns ahnungslosen Mitteleuropäern kurz erklären, was es mit der US-Country-music auf sich hat, warum du dich darüber lustig machst?

Es gibt Rockmusik, es gibt Popmusik, und dann, für Leute, die denken, das das alles noch viel zu wild ist, gibt es Country-music. Hör dir mal „Burn Nashville Down“ auf dem Album an, dann weißt du, worum es geht. Ich meine, Country war irgendwann mal eine Art von Folk-Music für arme Leute. Und Bluegrass wurde sogar von Schwarzen erfunden, aber das weiß kaum jemand. Langsam, aber sicher hat sich Country dann zu etwas entwickelt, was man automatisch mit Rednecks in Verbindung bringt. Ich muß zugeben, daß ich mir bis zu diesem Album nicht allzuviel kommerzielle Country-music angehört habe, sondern vor allem authentischen, guten Country wie von Hank Williams oder Stompin' Tom Connors und Truckdriverballaden aus den Fünfzigern. Anfangs hatte ich mir diese Platten gekauft, um mich darüber zu amüsieren, stellte dann aber fest, daß ich das Zeug sogar mag. Und da merkt man dann ziemlich schnell, wie schlecht die Musik gemacht ist, die heute auf den Country-Radiosendern abgenudelt wird. Das ist Country by numbers, hehe. Und die Texte sind sowieso unglaublich schlecht: „I am from the heartland, I will do a good, honest day's work. I wish I could fall in love. I love my truck, I love my gun.“ Und das wiederholt sich dann in allen nur denkbaren Variationen.

In was für Dimensionen bewegt sich das kommerziell?

Der bestverkaufte Song der letzten Jahre war „Achy Breaky Heart“ von Billy Ray Cyrus. Neun Millionen haben die von der Platte verkauft. Als ich in Dallas war, hat dieser Cyrus ein Konzert vor 65.000 Leuten gegeben. Zu diesem Erfolg hat sicher auch beigetragen, daß durch den Country-Rock der Seventies mit Bands wie den Eagles oder den Flying Burrito Brothers viele Leute auf den Geschmack gekommen sind, die jetzt, da sie älter und konservativer geworden sind, normale Country- musik hören.

Das klingt ganz so, als wäre Country das US-amerikanische Äquivalent zur deutschen Volksmusik.

Naja, ganz so verschlagen und bösartig wie Heino ist Country dann doch auch wieder nicht.

Den meinte ich auch nicht, sondern so unglaubliche Bands wie die Wildegger Herzbuam, von denen du glücklicherweise noch nie was gehört haben dürftest.

Stimmt, aber immerhin kenne ich Truck Stop. Ich weiß zwar nicht, ob es die noch gibt, aber die haben mich wirklich beeindruckt. Bei der letzten Dead-Kennedys- Tour haben die in allen Städten, in denen wir Auftritte hatten, ein paar Tage vorher gespielt. Wir stießen überall auf ihre Plakate. Das Traurige ist, daß Country einst wirklich authentische, ursprüngliche Musik war, die einem guten Blues- oder Lou-Reed-Song in nichts nachsteht, aber solche Leute haben in diesem Business keine Chance. Danny Barnes von den Bad Livers zum Beispiel ist einer der besten Country-Songwriter, aber trotzdem waren das Chicagoer Touch-&-Go-Label, die ja nicht gerade ein Country-Label sind, die einzigen, die die Platte rausbringen wollten.

Und was ist deine derzeitige Lieblingsplatte?

O shit, was für eine Frage: Die letzte Platte, die mich wirklich weggeblasen hat, war „African Sounds“ von einer Band namens „Dungills“. Das ist ein afro-europäischer Gospelchor, der alte Anti-Sklaverei-Songs singt und eine beinahe psychelische Backing- Band hat.

Möchtest du zum Schluß einen deiner beliebten volksverhetzenden Polit-Appelle loswerden?

O.k., wenn du willst: Watch out for Gatt, the General Agreement on Tariffs and Trades. Ein paar der Formulierungen in diesem Dokument sind hervorragend dazu angetan, alle gewählten Regierungen außer Gefecht zu setzen, so daß wir schließlich wieder in einem feudalistischen System leben, in dem Lords und Barone und Konzernmanager das Sagen haben. Wenn man sich die einzelnen Punkte genau anschaut, sagen die nicht mehr und nicht weniger aus, als daß ein verrückter, panamesischer Diktator in Zukunft unter Berufung auf den freien Welthandel gegen strenge Umweltgesetze in Deutschland klagen kann, wenn er will, und er auch noch gute Chancen hat, recht zu bekommen. Und die einzige Möglichkeit, dagegen vorzugehen, wird eine Berufungskommission von Chemiemanagern sein, die in Seveso in Italien tagt, hahaha. Gatt ist so ziemlich die übelste Sache, die in letzter Zeit abging, und gleichzeitig auch ein Beweis für die absurde Zensur, der wir unterworfen sind, denn kaum jemand hat überhaupt mitbekommen, worum es da wirklich ging. Statt dessen sollen wir uns für die Knie von Eiskunstläuferinnen und die abgeschnittenen Penisse von Ex-Marines interessieren. So sieht Zensur heute aus.

Jello Biafra/Mojo Nixon: „Prairie Home Invasion“ (Alternative Tentacles/EfA)