Truppenrückzug erneut fraglich

■ Jelzin sagt Treffen mit Lettlands Präsident Ulmanis ab

Stockholm (taz) – Der russische Präsident Boris Jelzin hat gestern ein lange geplantes Treffen mit seinem lettischen Pendant Guntis Ulmanis abgesagt. Der Grund: Im lettischen Parlament hat sich bislang keine Mehrheit für die Ratifizierung des Truppenabzugsabkommens vom 15. März gefunden. Die Rigaer Parlamentarier wollen nur Teile des Pakets akzeptieren, was einer Forderung nach Neuverhandlungen gleichkommt. Dies aber lehnt Moskau ab.

Hauptknackpunkte sind die Versorgung von rund 35.000 in Lettland lebenden pensionierten Offizieren der Roten Armee und die russische Radarstation in Skrunda. Diese will Moskau bis zum Jahre 1998 behalten, während etwa 10.000 verbleibende russische Soldaten Lettland bis Ende August verlassen haben sollen. Nach der Unterzeichnung des Truppenabzugsabkommens war von den rechten Parteien im Rigaer Parlament eine Kampagne gegen den Kompromiß gestartet worden. Aleksanders Kirsteins, der Vorsitzende des außenpolitischen Parlamentsausschusses, sprach von einem neuen „Molotow-Ribbentrop-Pakt“, zu dem der Westen Lettland zwingen wolle. Besonders die Clinton-Administration drängt Riga seit langem, die „Kröte“ Skrunda zu schlucken, um den Abzug der Truppen zu erreichen.

Zudem klagt die Bevölkerung Skrundas über gesundheitliche Bedrohungen durch die Radarstation. Westliche ExpertInnen hatten dort starke elektromagnetische Wellen gemessen, die vor allem den Gesundheitszustand von Kleinkindern erheblich beeinträchtigen könnten. Auch Symptome wie chronische Kopfschmerzen und häufige Übelkeit werden in Skrunda auf die Radaranlagen zurückgeführt. Der Westen hat Lettland für den Fall einer Ratifizierung des Abkommens finanzielle Hilfe sowohl für einen späteren Abriß der Anlage als auch die Versorgung der russischen Pensionäre zugesagt.

Versprechen, die die Opposition gegen das Abkommen, die Parteien „Vaterland und Freiheit“ und die rechtsradikale „Selbständigkeitsbewegung“ LNNK, nicht beeindrucken. Es gehe nicht um Geld, so die Gegner des Truppenabzugsabkommens, sondern darum, daß jeder pensionierte russische Offizier ein potentieller Partisan gegen Lettland sei und deshalb das Land verlassen müsse. LNNK und „Vaterland und Freiheit“ drohen nun, eine Volksabstimmung einzuleiten, was den gesamten Ratifizierungsprozeß stoppen oder zumindest die Einhaltung des Termins für den Abzug der Ex- Rotarmisten im August unmöglich machen würde. Reinhard Wolff