Goraždes Preis „in die Höhe schrauben“

Clinton stellt neue Strategie zum Schutz der UN-Schutzzonen in Bosnien vor / Bombardierung serbischer Nachschubwege angekündigt / Dritter Kurswechsel des US-Präsidenten  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Vom Enthusiasmus und Nachdruck, die ihn oft bei innenpolitischen Themen auszeichnen, war an diesem Tag nichts zu spüren. Als US-Präsident Bill Clinton am Mittwoch im Weißen Haus der Öffentlichkeit seine neue Strategie zum „Schutz der Schutzzonen“ in Bosnien vorstellte, da klang er wie jemand, der nicht wußte, wieviel von seinen Vorschlägen 24 Stunden später tatsächlich noch übrig sein würde.

Donnerstag früh herrschte immerhin noch vorsichtiger Optimismus, daß Rußland sich zumindest kooperationsbereit zeigen und die Nato-Verbündeten dem US-Vorstoß bis Ende der Woche definitiv zustimmen würden: Demnach sollen die bosnischen Serben um Goražde, Srebrenica, Tuzla, Zepa und Bihać per Ultimatum gezwungen werden, die Belagerung dieser Städte aufzugeben und ihre Waffen abzuziehen; andernfalls erhalten Nato-Flugzeuge den Einsatzbefehl, serbische Stellungen zu bombardieren. Zu möglichen Angriffszielen sollen nach Vorschlag Washingtons nun auch Nachschublager und für die militärische Versorgung wichtige Verkehrswege wie Brücken gehören. Luftangriffe der Nato allein, so der US- Präsident, „können weitere serbische Aggressionen nicht verhindern.“ Aber man wolle den Preis für die Serben in die Höhe schrauben und ihnen klarmachen, „daß es in ihrem eigenen Interesse ist, an den Verhandlungstisch zurückzukehren“. Zweitens will die Clinton-Administration dafür Sorge tragen, daß das Wirtschaftsembargo gegen Serbien durch stärkere Kontrollen verschärft wird. Überlegungen im Weißen Haus, als Zuckerbrot für die Regierung in Belgrad eine Lockerung der Sanktionen in Betracht zu ziehen, wie dies von Frankreich, Großbritannien und Deutschland erwogen wird, sind damit offenbar vorerst vom Tisch. Drittens erklärte sich Clinton am Mittwoch bereit, sich an der Finanzierung für die Entsendung von 6.500 weiteren Blauhelmen zu beteiligen. Die Stationierung von US-Truppen, so Clinton, käme nicht in Frage.

Clintons Pressekonferenz markierte den dritten Kurswechsel der Administration innerhalb der letzten Wochen. Der Versuch, die bosnischen Serben durch zwei Bombenangriffe Anfang letzter Woche zu „bluffen“ und sowohl einen Waffenstillstand durchzusetzen als auch die Wiederaufnahme von Attacken zu verhindern, scheiterte kläglich. Die Attacken auf Goražde halten seitdem unvermindert an. Zu den Zielen serbischer Artillerie zählen nun auch Quartiere der UNO. Der drohende Zusammenbruch des UNO-Einsatzes in Bosnien-Herzegowina und der Gesichtsverlust der Nato sind zwei der Motive für den jüngsten US- Vorstoß. Zudem hofft man nun auf die Kooperation Rußlands, nachdem sich der russische Unterhändler Witali Tschurkin am Montag von der serbischen Taktik, gleichzeitig Waffenstillstand zu versprechen und Goražde zu bombardieren, restlos frustriert zeigte, und seinem Chef, Außenminister Andrej Kosyrew, den Einsatz militärischer Gewalt gegen die Serben empfahl. Unmittelbar vor seiner Pressekonferenz am Mittwoch konferierte Clinton ausführlich am Telefon mit Boris Jelzin. Man habe sich geeinigt, so Clinton kryptisch, „sehr eng zusammenzuarbeiten“.

Neben außenpolitischen Erwägungen dürfte vor allem innenpolitischer Druck für den jüngsten Kurswechsel verantwortlich sein. Zwar ist der Krieg gegen die bosnischen Muslime in weiten Teilen der USA kein beherrschendes Thema, zumal es aus Goražde keine Fernsehbilder gibt. Doch inmitten sich widersprechender Statements seiner BeraterInnen und Kabinettsmitglieder gab ein orientierungslos wirkender Clinton ein zunehmend schlechtes Bild in der Öffentlichkeit ab. Im US- Kongreß wächst ebenfalls Kritik. Hier hat sich eine Koalition zwischen prominenten Demokraten und Republikanern gebildet, die eine Aufhebung des Waffenembargos gegen die bosnischen Muslime fordern, was Clinton bislang ablehnt. Wenn die Nato-Verbündeten und der UNO-Sicherheitsrat dem nicht zustimmen, so Bob Dole, Fraktionsführer der Republikaner im Senat, dann müsse die USA eben im Alleingang Waffenlieferungen aufnehmen. Ein entsprechender Antrag, der die Regierung zum Handeln zwingen soll, ist in Arbeit.