piwik no script img

Der Blockwart, dein Freund und Helfer

■ Für den Bürger wollen sie dasein, die "netten" und "pflichtbewußten" Hilfssheriffs, die seit Anfang April in verschiedenen Städten Bayerns des Nachts patrouillieren, um die Polizei im Kampf "gegen...

Für den Bürger wollen sie dasein, die „netten“ und „pflichtbewußten“ Hilfssheriffs, die seit Anfang April in verschiedenen Städten Bayerns des Nachts patrouillieren, um die Polizei im Kampf „gegen Kriminalität und Vandalismus“ zu unterstützen

Der Blockwart, dein Freund und Helfer

Gähnende Leere in den Häuserschluchten der Nürnberger Trabantenstadt Langwasser. Nur das laute Knacken von zwei Funkgeräten durchbricht die abendliche Stille. „Pegnitz 12, bitte melden!“ gibt der 54jährige Heinz Spindler seinen Einsatzort am U-Bahnhof Langwasser-Süd an die Polizeiinspektion Süd durch, bevor er mit dem gleichaltrigen Peter Kopitzsch seinen dreistündigen Streifengang durch den Stadtteil fortsetzt. Ihre Einsatzorte sind heute drei U-Bahnhöfe, mehrere Parkanlagen und das Umfeld eines Jugendzentrums.

Der Elektriker Spindler und der Maschinenbautechniker Kopitzsch sind zwei von insgesamt 36 Mitgliedern der „Sicherheitswacht“, die seit dem 5. April in Nürnberg, Ingolstadt und Deggendorf Bayerns Polizei in ihrem Einsatz gegen Straßenkriminalität und Vandalismus unterstützen soll. Die beiden sind eifrig bei der Sache. Die wenigen, die abends noch unterwegs sind, sind allein schon dadurch verdächtig – und werden dementsprechend argwöhnisch beäugt. Macht sich der Besoffene nicht gerade an einem Auto zu schaffen? Nein, er wankt weiter. Was will der Penner am Aufzug zum U-Bahnhof? Und der zehnjährige Junge, warum sitzt er abends noch auf dem gläsernen Schacht einer Tiefgarage? „Steh auf, Großer!“ verscheucht Spindler den Kleinen und freut sich, daß sein Auftreten mit Funkgerät, leuchtend grüner Armbinde – Aufschrift „Sicherheitswacht“ – und dem Dienstausweis mit dem bayerischen Staatswappen auf der Brust ihm Respekt verschafft.

Vor zehn Jahren ist Spindler selbst einmal überfallen worden, in seinem Gartenhaus. Auch Kopitzsch hat einen Schrebergarten. Seine Laube ist ebenfalls schon einmal aufgebrochen worden. „Es wird immer schlimmer mit der Kriminalität“, sind sich die beiden grauhaarigen Sicherheitswächter einig. Deswegen wollen sie der Polizei helfen. „Ich will für den Bürger dasein“, betont Spindler, und sein Streifenkollege sekundiert mit dem Slogan, mit dem Bayerns Innenminister Günther Beckstein die Sicherheitswacht der Öffentlichkeit nahebringen will: „Wir brauchen Bürger, die hinsehen und nicht wegschauen.“

Spindler und Kopitzsch wären beide gern Polizist geworden. Beim einen waren die Eltern dagegen, beim anderen hat es ebenfalls nicht sollen sein. Nach Feierabend können sie ihren Jugendtraum ausleben – Hobbypolizist für zwölf Mark die Stunde. Aus einer Vielzahl von Bewerbern sind sie zusammen mit 15 anderen in Nürnberg ausgewählt worden. Sie überstanden die Regelanfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz, auch die Polizeidatenbänke wiesen keinerlei Einträge auf. Vierzig Stunden wurden sie dann geschult: Der Umgang mit dem Bürger und dem Funkgerät sowie die Grundrechte standen dabei auf dem Programm.

Die Sicherheitswacht ist der Inspektion Nürnberg-Süd angegliedert, der größten bayerischen Polizeiwache. Deren Chef, Polizeirat Kurt Benisch, war maßgeblich an der strengen Auswahl der Bewerber beteiligt. „Ich wollte keine Rambotypen dabeihaben“, betont der 42jährige und ist begeistert von den Sicherheitswächtern. Das seien alles „nette, hilfsbereite Leute mit durchweg edlen Motiven“. Anfangs, das gibt Benisch zu, war er skeptisch gegenüber der Initiative seines Innenministers eingestellt. Er habe befürchtet, die Polizeibeamten würden durch den Übereifer der Sicherheitswächter mit Lappalien zugeschüttet und es werde sich bei den Wächtern eine Blockwart-Mentalität breitmachen. Doch Benisch achtet penibel darauf, daß keiner der Sicherheitswächter „in dessen sozialem Nahbereich eingesetzt“ wird. Vor dem Ende der sechsmonatigen Erprobungsphase will der Polizeirat jedoch noch keine Bilanz wagen. – Die „netten Leute“ sind äußerst pflichtbewußt. Bereits eine halbe Stunde vor Streifenbeginn betritt Spindler das Polizeirevier, wo der Sicherheitswacht ein eigenes Zimmer zur Verfügung steht. Er schnallt sich die Armbinde um, prüft, ob der Akku des Funkgeräts geladen ist, und wartet auf seinen Kollegen. „Wir werden ernst genommen von den Polizeibeamten“, vermeldet der Elektriker stolz. Vor Ort gilt seine Aufmerksamkeit Sprayer- Gemälden oder heimatlosen Einkaufswagen. „Stellen die eine Gefahr dar?“ fragt Kopitzsch seinen Kollegen. Der verneint und gibt zum besten, daß es „den meisten Deutschen eben doch zu gutgehen“ würde – oft stecke das Markstück noch im Kettenschloß der Einkaufswagen.

Plötzlich Geschrei. Es kommt vom Jugendzentrum. Erst werden die Funkgeräte leise gestellt, dann ziehen die Hobbypolizisten los. Sie entdecken bei einem Trafohäuschen einige zerstörte Scheiben. „Die Saubande, die Elendigen!“ entfährt es Spindler. Kopitzsch nickt pflichtschuldig. Von zwei Seiten nähern sie sich dem Jugendzentrum. Dort entpuppt sich das Geschrei aber als lautstarke Auseinandersetzung beim Billardspiel. Die Kids vor dem Jugendzentrum zeigen keinerlei Respekt vor den Sicherheitswächtern. „Überfall, Einbruch, Polizei!“ rufen sie Spindler und Kopitzsch nach. „Das passiert uns nur bei den Jugendlichen“, betont Spindler. Von den meisten Bürgern würden sie positiv aufgenommen. „Die freuen sich, wenn die Polizei sich wieder auf der Straße zeigt.“ Vor allem bei der älteren Generation komme die Sicherheitswacht gut an. Kopitzsch findet es reizvoll, „immer unter Menschen zu sein“. Die Streifengänge seien „spannend und abwechslungsreich“, gerät er fast ins Schwärmen.

Ein Funkspruch zerreißt die Stille. „Frau an der Christuskirche niedergeschlagen.“ Nur kurz horcht Spindler auf, läßt aber enttäuscht das Funkgerät wieder sinken. „Da sind wir wieder nicht dabei.“ Die Christuskirche gehört nicht zu ihrem Revier. Spindler hätte gern mehr zu tun. Vor allem etwas richtig Großes, das wäre schon etwas. „So einen, wenn wir so einen erwischen würden“, entfährt es ihm beim Anblick eines RAF-Fahndungsplakats am Eingang zum U-Bahnhof Langwasser- Mitte. Dann fällt ihm ein, daß ihm als Mitglied der Sicherheitswacht nicht einmal die Belohnung zustünde. „Aber die Schlagzeilen!“ Bernd Siegler, Nürnberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen