Wie die Stadt regiert werden soll

■ Baustaatsrat Jürgen Lüthge und Viertelbürgermeister Dietrich Heck: Ein Streitgespräch über Machterhalt, Beirätefrust und Beiräterechte, die Abschaffung der Stadtbürgerschaft, Bezirksämter und die Zukunft der Stadt

Heute entscheidet der Landesparteitag der SPD über einen Antrag aus dem Unterbezirk West, der die Stadt in weiten Teilen umkrempeln könnte: Der UB West fordert die klare Trennung von Land und Stadt, die Abschaffung der Beiräte und stattdessen die Einführung von Bezirksämtern.

In dieser Forderung haben die SozialdemokratInnen aus dem Westen zwei Verbündete, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Dietrich Heck, streitbarer Ortsamtsleiter aus dem Bereich Mitte/Östliche Vorstadt, führt seit der Novellierung des Beirätegesetzes einen harten Kampf um die Rechte der Stadtteilparlamente. Sein Vorwurf an den Senat: Den Beiräten werden nicht die Rechte zugestanden, die ihnen der Staatsgerichtshof zugebilligt hat, nämlich das Letztentscheidungsrecht über Verkehrsfragen in den Quartieren. Jürgen Lüthge, nicht minder streitlustiger Staatsrat im Bauressort, ist an der Stelle der natürliche Feind Hecks. Erst nach langen und zähen Verhandlungen ist es zu einer Vereinbarung über die Rechte der Beiräte gekommen.

Doch gerade diese schwierige Abgrenzung und der Frust bei den Beiräten ist es, die sowohl Heck als auch Lüthge zu Verfechtern eines anderen Modells der Stadtregierung gemacht haben. Statt einer achtzigköpfigen Stadtbürgerschaft und 18 Beiräten sollte die Stadt in fünf Bezirke aufgeteilt werden mit Bezirksämtern und kleinen Bezirksparlamenten, größer und professioneller als die Beiräte, aber dafür auch mit mehr Kompetenzen.

taz: Jürgen Lüthge, warum wird die Stadt unregierbar wenn die Beiräte entscheiden, ob die Mozartstraße so- oder andersrum Einbahnstraße wird?

Jürgen Lüthge: Von Unregierbarkein ist nicht die Rede. Wenn wir darüber nachdenken, wie die Struktur der politischen Entscheidungsträger vielleicht neu geordnet werden kann, muß man sich zuerst die Rechtslage ansehen: Eine senatorische Dienststelle ist in erster Linie der Deputation, der Stadtbürgerschaft und dann dem Senat verantwortlich, und nicht den Beiräten. Es geht also gar nicht so sehr um eine Konfliktlinie zwischen den senatorischen Ressorts und den Beiräten, sondern mit den anderen bremischen Verfassungsorganen.

Dietrich Heck: Der Punkt, um den es geht, ist die Frage: Braucht Bremen als Stadt achtzig Vollzeitabgeordnete, die in Deputationen sitzen, die keinerlei Entscheidungsrechte haben, sondern reine Beratungsgremien der Landesregierung sind? Ich möchte, daß Entscheidungsrechte nach unten abgegeben werden, und zwar in der bewährten Form, wie das in der ganzen Republik stattfindet: Von der Bundesregierung zur Landesregierung, zu den Kreisen, zu den Gemeinden. Und in Bremen vom Magiistrat der Stadt zu den Bereichen. Ich will eine Delegierung dieser Entscheidungsrechte in die Stadtteilparlamente, die direkt gewählt sind, damit dort die eigenen Belange auch tatsächlich vertreten und umgesetzt werden.

Das heißt, wir haben dann zwanzig kleine Fürstentümer in Bremen?

Das heißt das nicht, sondern: Der Bereich Mitte/Östliche Vorstadt beispielsweise umfaßt zur Zeit 47.000 Menschen. Das ist eine mittlere Kleinstadt. Wenn die in Niedersachsen liegt, dann entscheidet sie natürlich auch ganz selbständig, wie sie mit ihren Stadtstraßen verfährt. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit.

Die Frage ist, warum in unserer Stadtgemeinde die Leute vor Ort nicht über Baumnasen entscheiden können. Wir wollen doch nicht die Sperrung des Osterdeiches als Bundesstraße entscheiden können. Das Beirätegesetz redet auch ausdrücklich nur von Entscheidungen, sofern sie stadtteilbezogen sind. Dieses Recht wollen wir haben.

Ich bin ja auch dafür, endlich Klarheit zu schaffen, und am Ende müssen Bezirksämter stehen. Ich sage nur, daß das jetzige Beiratssystem ein mißglückter Spagat zwischen der Stärkung der örtlichen Rechte durch eine direkte Wahl und andererseits durch die Beibehaltung der Beiräte als Verwaltungsausschuß.

In den beiden anderen Stadtstaaten sind die Kompetenzen zwischen Senat und Bürgerschaft und den lokalen Einheiten klar gegliedert. Das gibt es in Bremen nicht. Wir haben ein Beirätegesetz, das hat den Anschein vermittelt, als ob es den Beiräten sehr viele Zuständigkeiten gibt, es hat ihnen aber die Zuständigkeiten nicht gegeben.

Stimmt!

Gegenwärtig sind die senatorischen Dienststellen die Buhmänner der Beiräte, weil die ja keine eigene Verwaltung haben. Diese Pseudozuständigkeiten müssen zu Zuständigkeiten gemacht werden. Hier hat man den Beiräten bei der letzten Reform nur Scheinrechte gegeben ohne Muskeln. Das führt zu einer Frustration am laufenden Band, und zwar auf beiden Seiten. Die Beiräte haben diese Scheinrechte, die Bevölkerung hat Erwartungen, die aber nicht erfüllt werden können. Dann kamen die Beiräte und die Ortsamtsleiter unter Druck. Jetzt hat die Bevölkerung erkannt, das ist nur eine Scheinmacht, und sie wendet sich enttäuscht von den Beiräten ab. Und wir haben diesen Dauerclinch, der die Leute demotiviert. Da müssen wir raus.

Was Sie eben gesagt haben, das unterstütze ich zu einem großen Teil, aber Ihre Schlußfolgerung ist: Jetzt novellieren wir erstmal das gültige Beiratsgesetz dahingehend, daß das einzige wirklich bedeutsame Beiräterecht „Verkehrslenkende, –beschränkende und –beruhigende Maßnahmen“ wieder in ein Beteiligungsrecht umgewandelt werden soll. Und erst dann, sagen Sie, müßte man nachdenken, Verwaltung zu dezentralisieren und die Verfassung zu ändern. Damit wäre die Vergabe von Rechten nach unten auf den Sanktnimmerleinstag aufgeschoben.

Das Konfliktpotential lösen wir nicht auf, indem wir die paar Rechte, die wir haben, wieder abgeben. Wenn Sie sagen, wir müssen zu klareren Strukturen kommen, dann hört sich das ganz gut an, die Wahrheit sieht aber anders aus: Die Bereichsentwicklungsplanung, die Möglichkeit für Beiräte, sich eigene Gedanken zu machen, ist gerade aus Ihrem Haus bekämpft worden und im Augenblick ausgebremst. Ich glaube, daß es dabei darum geht, Beiräte nicht selbständig denken zu lassen.

Beiräterechte also doch erst am Sanktnimmerleinstag

Mitnichten! Ich sage, man muß die Widersprüchlichkeiten im jetzigen Beiratsgesetz beseitigen, aber das ist nur ein ersten Schritt. Das eigentliche Ziel ist nämlich, bestimmte Entscheidungen und Verantwortlichkeiten nach unten geben, aber das setzt eben voraus, daß eine echte Bezirksstruktur geschaffen wird.

Da sind Sie beide doch gar nicht auseinander

Nein, aber Heck hat einen tollkühnen Sprung gemacht: All das, was er als Voraussetzung für eine Bezirksstruktur definiert, das fordert er doch schon jetzt für die Beiräte. Da werden wieder die Zuständigkeiten eingefordert, die ich ihm gar nicht gewähren kann, weil ich durch Deputation, Senat und Bürgerschaft gebunden bin, weil ich an bestimmte Haushaltsrechte gebunden bin. Er greift mit vollen Händen zu, aber er greift ins Leere.

Deshalb sag ich: Heck schürt Pseudokonflikte. Er analysiert den Ist-Zustand, er kennt auch die Abhilfemöglichkeiten, nämlich die Bezirke, er weiß, daß man das neu ordnen muß – aber er führt trotzdem die Sackgassendebatte mit der These wir haben die Rechte jetzt schon. Ich sage, wir müssen erst Bezirke und Bezirksämter schaffen und dann eine neue Struktur der Zuständigkeiten.

Die politische Diskussion läuft jetzt seit zwei Jahren, beziehungsweise sie läuft nicht. Es beschäftigen sich nur ganz wenige Leute damit. Und das traurige ist, daß es letztlich in keiner Ampelpartei eine Bereitschaft gibt, das wirklich zu diskutieren. Die Diskussion über die Neuordnung des Stadtstaates gibt es nur im Ausschuß zur Verfassungsänderung, aber der Sektor Beiräte und Bezirke wird entweder ausgeklammert oder auf einem Niveau diskutiert, das den eigentlichen Sachfrage überhaupt nicht gerecht wird. Das ist bei allen vier Parteien so. Und dahinter steckt ganz klar der Wunsch der Stadtbürgerschaft, sich selbst zu erhalten.

Völlig richtig. Die Stadtbürgerschaft würde sich zu Teilen selber abschaffen, wenn sie tatsächlich bereit wäre, Rechte nach unten zu delegieren. Das scheint nicht ihr Interesse zu sein. Und auch die Parteien, die vorher in der Opposition sehr laut Demokratie von unten gefordert haben sind nun durch die veränderte Rolle auf einen ganz anderen Tenor gekommen. Das verwundert und verärgert mich. Bremen geht sogar soweit und sagt, wenn das kommunale Ausländerwahlrecht kommen sollte, glauben wir in Brüssel eine Ausnahmegenehmigung zu bekommen, um unsere Struktur nicht ändern zu müssen. Das Beharren auf den Machtpositionen ist schon erschreckend.

Die Bürger wollen doch mitgestalten, doch das wird jetzt von oben mit einem großen Deckel versehen. Da bitte ich doch um Verständnis, daß wir das bißchen was wir an Rechten jetzt haben, selbst wenn es ganz schwierig ist, selbst wenn es ganz strittig ist und unvollkommen, daß wir das bißchen nicht jetzt wieder zurückgeben unter dem Versprechen: Und wenn wir das erstmal einkassiert haben, dann machen wir für euch ne ganz tolle Konstruktion, dann habt ihr später mal ganz viele Rechte.

Heißt das, wir reanimieren hier eine fast schon tote Diskussion, nämlich die um die Bezirke? So einig Sie beide in der Zielvorstellung sind, so einig ist doch der Rest der Welt, daß diese Bezirke nicht kommen sollen. Keiner weiß, was dann aus der Stadtbürgerschaft wird.

Um das Hollerland habe ich in meiner früheren Tätigkeit im Umweltressort 15 Jahre Diskussion führen müssen, um das Niedervieland streiten wir uns seit 20 Jahren, um den Schröder-Ring durch den Bürgerpark wird seit 1902 gestritten. Ende der 70er Jahre war ich im Beirat und wie heftig haben wir da um die Direktwahl gestritten. Inzwischen gibt es sie.

In den anderen Stadtstaaten gibt es das Bezirksmodell schon seit vielen vielen Jahren. Das ist ein bewährtes Modell. In Bremen haben wir Beiräte zwischen 300 und 43.000 Einwohnern. Das ist absurd. Dafür kann man keine Verwaltungseinheit machen. In Berlin haben die Bezirke im Schnitt rund 130.000 Einwohner, in Hamburg 230.000. Ich tendiere zum Berliner Modell, das wären in Bremen vier oder fünf Bezirke. Für 100.000 Laute kann man dann auch die richtigen Kompetenzen schaffen. Und der Senat würde zusammen mit dem Landtag die wesentlichen Steuerungsentscheidungen eines Bundeslandes treffen, und hätte dafür auch genügend Zeit. Heute überlagert doch die Debatte, ob ander Kreuzung eine Ampel hinkommt, andere wesentliche Debatten.

Jetzt zu den bestehenden Rechten. Ich verstehe ja, daß Hucky Heck sagt, er wolle sich die Rechte die sich der Beirat erkämpft hat, nicht wieder abnehmen lassen. Das ist aber letztlich keine andere Position als die der Stadtbürgerschaft. Man versucht, den status quo mit Zähnen und Klauen zu verteidigen.

Hucky Heck möchte den Senat von der Kreuzungsdiskussion entlasten. Ist das keine reizvolle Vorstellung?

Soviel Altruismus traue ich ihm nicht zu. Ich finde, er macht es sich häufig ganz einfach, zu kritisieren, daß es nicht schnell genug vorangeht, zum Beispiel am Ostertorsteinweg, wo er andererseits aber genau weiß, wie kompliziert die Rechtsvorschriften sind und wieviele Einwendungen es gegeben hat. Dazu verführt eben die jetzige Rolle der Beiräte. Da sagen die einfach: Macht mal. Sie brauchen sich nicht ums Geld oder um die Gerichte zu sorgen. Das bekommt der Demokratie auch nicht gut. Da wird jeder Senator der Lächerlichkeit preisgegeben.

Das müssen Sie doch ertragen. Das ist doch ein Rollenspiel, das passiert doch auf allen Ebenen. Was meinen Sie, was ich alles aushalten muß von unten. Was wird mir da alles vorgeworfen, in diesem Glauben, was ich alles bewegen könnte.

Ich finde das aber verdammt schädlich und unerträglich. Zumindest auf der lokalen Ebene führt so ein Rollenspiel zu der Frustration, die wir uns nicht leisten können. Es sind doch nur noch wenige, die bereit sind, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren.

Und es werden immer weniger.

Genau. Ich sage, dieses Rollenspiele können wir uns nicht leisten. Die Bürger wenden sich angewidert von diesem Schauspiel ab. Unabhängig vom Sachstreit werden hier zwei gewählte Organe gegeneinander gehetzt in einem ausweglosen Konflikt. Mir geht es um die politische Kultur.

Genau deshalb ist es doch der richtige Ansatz, diese kleinteiligen Probleme vor Ort richtig mit den Leuten zu besprechen, auszutragen, in einer öffentlichen Beiratssitzung zu streiten, und der Beirat, der da vor den Leuten sitzt, der fällt auch die Entscheidung. Wenn es hinterher schiefgegangen ist, dann kann man sich wieder an den Beirat wenden. Problematisch wird es doch, wenn der Beirat in öffentlicher Diskussion mit Bürgern Beschlüsse faßt, aber dann das Gegenteil passiert. Da kann man doch den Beiräten nicht zum Vorwurf machen, daß sie stinkig werden.

Wie wollen Sie die Stadtbürgerschaft dazu bringen, sich selbst aufzulösen?

Es geht gar nicht darum, die Stadtbürgerschaft aufzulösen. Da werden auch falsche Ängste geweckt. Auch nach dem Berliner und Hamburger Bezirksmodell gibt es noch eine ganze Reihe von Aufgaben kommunaler Art, die übergreifend sind, wie Verkehrspolitik oder Wohnungsbaupolitik. Diese Ängste sind nur wegen mangelnder Aufklärung entstanden. Eine Debatte Stadtbürgerschaft oder Bezirke gibt es überhaupt nicht, es gibt nur eine Debatte Stadtbürgerschaft mit geänderten Zuständigkeiten plus Beiräte oder plus Bezirke.

Ich glaube immer noch erstens an die Vernunft und zweitens an die Verpflichtung der Abgeordneten dem Gemeinwohl gegenüber. Und wenn sie das addieren, müßten sie eigentlich zu demselben Ergebnis kommen wie wir.

Fragen: Jochen Grabler