Rock als „Standortfaktor“

Inwieweit werden die allgemeinen Sparmaßnahmen die U-Musik-Szene der Stadt betreffen?  ■ Von Thomas Winkler

Das „Damoklesschwert“, von dem so viele reden, schwebt – noch. Am 28. April wird es fallen. An diesem Tag findet die entscheidende Sitzung des Abgeordnetenhauses statt, in der die Sparmaßnahmen für das laufende Haushaltsjahr beschlossen werden. Erst danach wird absehbar sein, in welchem Umfang wo gekürzt wird.

Von den Streichungen wird die U-Musik-Szene der Stadt wohl am wenigsten getroffen werden – könnte man meinen. Hartnäckig hält sich der Halb-Mythos von der kapitalistischen Struktur dieses Bereiches: daß Musiker sich prinzipiell die Kosten für ihr Hobby vom hageren Munde absparen und in klammen Übungskellern, von deren Wänden die selbstaufgeklebten Eierkartons bröckeln, an Gicht erkranken, bevor sie reich und berühmt werden konnten.

Übungsräume auf Senatskosten

Natürlich ist was dran an diesem Mythos, natürlich gibt es diese Fälle, und sie bestimmen wahrscheinlich sogar den Großteil des Berliner Musikantentums. Aber in Berlin (damals noch West) war tatsächlich mal was anders. Als erste Landesregierung förderte der Senat hochoffiziell aus dem Etat für Kulturelles die „Rockmusik“ – womit man damals alles meinte, das nichts mit Geigen zu tun hatte. Rock als Objekt von Kulturförderung entsprach dem, was man heute modisch „Standortfaktor“ nennt: eine Größe in der inner- wie außerstädtischen Repräsentation. So entstanden beispielsweise in den ersten zehn Jahren dieser Novität bis 1988 ungefähr einhundert Übungsräume auf Senatskosten. Und fortan konnte sich glücklich schätzen, wer einen solch hochmodernen Keller – zwar nicht mietfrei, aber vergleichsweise billig – sein eigen nennen konnte.

Prominentestes Kindchen der West-Berliner Rockförderung war natürlich der Senatsrockwettbewerb, den eigentlich nur die zuständigen Bürokraten beim offiziell-peppigen Namen „Rock News“ riefen. Ähnliches widerfuhr auch dem jeweiligen Leiter – respektive inzwischen Leiterin – des Referats „Freie Gruppen“. Die hatte zwar wesentlich mehr zu tun, als sich mit Musik zu beschäftigen, aber wurde im Musikervolksmund trotzdem naßforsch zur „Senatsrockbeauftragten“ umgetauft.

Auch wenn von Anfang an viele den „Senatsrockwettbewerb“ belächelten: Das Geld, das, zunächst nur in West-Berlin, offiziell für die Förderung der Rockmusik ausgegeben wurde, sollte dazu dienen, sich ein weltstädtisches Image zu verschaffen. Auch wenn es nicht besonders üppig floß. Ein kurzer Zahlenvergleich: 1979 begann die Rockförderung mit 300.000 Mark, im vergangenen Jahr waren es immerhin knapp 750.000 Mark. Dazu kommen die Mittel für den Jazz, was schließlich im Jahr 1993 eine Gesamtförderung des Kultursenators im U-Musik-Bereich von exakt 1,146134 Millionen Mark ergibt. Keine schlechte Steigerung, könnte man denken, aber leicht durch die Vereinigung zu erklären. Deshalb zum Vergleich eine andere Zahl: Allein die Deutsche Oper kostete den Senat im letzten Jahr 88,5 Millionen, und die Gesamtförderung für Theater und Musiktheater betrug über den Daumen gepeilt ungefähr 584 Millionen Mark.

Nicht nichts, aber auch nicht viel

Was man daraus lernen kann: Es geht für die Rockmusik um was, aber nicht um viel. Und was man hoffen kann: Die nach Sparposten suchenden Kämmerer übersehen den popeligen U-Musik-Etat vielleicht gänzlich.

Bisher ist das, glaubt man Barbara Esser, der Leiterin des Referats „Dezentrale Kulturarbeit und Freie Gruppen“, auch der Fall. Bis zum ominösen 28.April sei – nach der Aufhebung des allgemeinen Ausgabenstopps – erst einmal ein Drittel des Gesamtetats für 1994 freigegeben. Und damit könne man leben. Unklar bleibt trotzdem, wie lange das gutgeht: „Gespart wird in allen Bereichen werden, auch bei den freien Gruppen.“

Nur so ist zu erklären, daß sich in diesem Referat bereits eine Art vorauseilender Spargehorsam eingestellt hat. Das K.O.B. zum Beispiel hatte für Konzerte mit Berliner Bands erstmals für 1994 eine Förderung beantragt. Nach mündlichen Absprachen, die allerdings vor dem ach so plötzlichen Auftreten des Haushaltslochs stattfanden, sollte der Club in der Potsdamer Straße im ersten Halbjahr für 20 Veranstaltungen jeweils 500 Mark bekommen. Diese insgesamt 10.000 Mark hatte das K.O.B. erstmals beantragt, weil aufgrund gestiegener Kosten der statutengemäße Auftrag des e.V., neue, unbekannte Bands auftreten zu lassen, nicht mehr gewährleistet werden konnte. Der für die Genehmigung zuständige Beirat gab zwar grünes Licht für die Förderung, aber nur für 13 Veranstaltungen. Dem K.O.B. fehlen nun in der Planung 3.500 Mark, peanuts, sollte man meinen, aber solche Läden sind auf die paar Märker angewiesen: „Jetzt müssen halt ein paar Konzerte ausfallen.“ Was wiederum einen netten, kleinen Teufelskreis in Gang setzt: Weniger Konzerte, weniger Einnahmen durch Eintritt und Gastronomie, zum Ausgleich höhere Eintrittspreise, weniger Publikum and so on ...

Und beileibe nicht nur das K.O.B. ist betroffen. Noch trüber sieht es im Tacheles aus. Das Kunsthaus in Mitte war letztes Jahr noch mit mehr als 40.000 Mark für Jazzkonzerte dabei. Bis April gab es wegen des totalen Ausgabestopps wie bei allen anderen gar nichts. Für April bis Juni sollen immerhin 10.000 Mark in der Oranienburger Straße eingehen. Trotzdem kann Esser keine Änderung der Bewilligungspolitik des Beirats erkennen.

Verdeckte Förderung

Ein ungleich höherer Geldbetrag fließt der Berliner Szene aus dem Etat der Bezirksämter und der Senatsverwaltung für Jugend und Familie zu. Einige schlaue Leute dort haben nämlich schon vor längerer Zeit erkannt, daß Jugendliche sich zu großen Teilen ganz außerordentlich für Musik interessieren. So existieren in ungefähr 80 Jugendzentren und ähnlichen Häusern einer oder gleich mehrere Übungsräume, mehr als 60 Einrichtungen veranstalten Konzerte, und 14 Häuser haben Aufnahmemöglichkeiten oder sogar ein eigenes Tonstudio, in dem Bands meist zum Selbstkostenpreis aufnehmen können.

Außerdem können Kapellen auf Staatskosten Videoclips drehen, Demokassetten kopieren, an Workshops, Festivals und Wettbewerben teilnehmen. Ganz zu schweigen von den Musikschulen mit ihren Dumpingpreisen für Unterricht. Wieviel exakt aber in Mark gemessen an dieser „verdeckten Förderung“ fließt, läßt sich beim besten Willen nicht feststellen. Da werden Mittel zur Suchtprävention in ein neues Mischpult gesteckt, damit das Studio weiterarbeiten kann. Inwieweit fördert ein Sozialarbeiter die Rockszene oder leistet Jugendarbeit, wenn er ein Konzert mit Berliner Bands organisiert? Daß Probleme auftauchen werden, ist vielen jetzt schon klar: „Wenn was kaputt geht im Studio, hat das schnell eine Größenordnung von 15 bis 20.000 Mark. Da wissen wir jetzt schon, daß wir sowas in diesem Jahr nicht ersetzt kriegen“, erzählt Sabine Petrick vom Kreuzberger Wasserturm, dessen 16-Spur-Studio ständig ausgebucht ist. Der kommunalen Einrichtung in der Kopischstraße ist für 1994 bereits der Sondertopf für Gerätereparatur und Neuanschaffungen um 2.000 Mark gekürzt worden.

Einziger klar zuordenbarer Kostenpunkt beim Jugendsenat sind die drei Rockmobile und das eine HipHopMobil, die durch Mobilität größere Nähe zu den Jugendlichen sichern sollen. Die schlagen mit einer halben Million im Senatshaushalt zu Buche, sind aber bei anderen Sozialarbeitern umstritten: „Das ist doch eine Alibigeschichte, die können doch gar nicht die Menge der Leute erreichen, sondern nur ein paar Privilegierte“, ist zum Beispiel der Tenor im Statthaus Böcklerpark.

Das sehen die Verantwortlichen natürlich ganz anders. Das Vorzeigeprojekt von Jugendsenator Krüger sei über die Maßen erfolgreich, behauptet Wolfgang Witte, der bis vor kurzem die Rockmobile koordinierte. Daß es Einschränkungen geben wird, sieht allerdings auch er: „Da überall gespart wird, wird in den bezirklichen Jugendfreizeitheimen, wo ein großer Teil der Rockmusikarbeit läuft, auch gespart werden. Und theoretisch könnte es natürlich sein, daß in einem solch kostenintensiven Bereich mehr wegfällt, aber das hängt von den bezirklichen Schwerpunkten ab.“ Batik-Kurse sind nun mal billiger als Musik-Workshops. Also demnächst umlernen!

Hoffnungsträger ABM

Das haben viele sowieso schon gemacht. Die meisten der in der DDR beruflich als MusikerInnen Qualifizierten mußten sich nach der Wende – wenn sie nicht Taxi fuhren – mit ABM-Jobs über Wasser halten. Und nicht nur das: Ein Großteil der Infrastruktur wird über ABM bestritten. Im Tacheles, das zuvor recht üppig versorgt war, gab es seit gut einem Jahr keine ABM-Gelder mehr, erst für den Sommer ist man hoffnungsfroh, wieder Stellen besetzen zu können.

In Gesamtberlin gibt es momentan vielleicht noch 10 Projekte, in denen der eine oder der andere Musiker auch als solcher untergekommen ist. Und die – spätestens nach der Bundestagswahl zu erwartenden – Sparmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit treffen somit auch diese. 1992 gab es noch circa 4.000 ABM-Stellen in der Stadt im Kulturbereich, jetzt sind es gerade noch die Hälfte. Aber Holger Schaffranke, Projektberater beim Sozial-Pädagogischen Institut, der größten Service-Gesellschaft für freie Träger in Berlin, kann über kommende Sparmaßnahmen hinwegtrösten: „Der größte Teil der musikbezogenen ABM-Projekte existiert sowieso nicht mehr.“