Wand und Boden
: Der Körper als Resonanzkörper

■ Kunst in Berlin jetzt: Balavat, Gerhard Winkler, Sebastian Otto, Anja Fußbach, Freda Heyden

Balavats Bild-Objekt-Collagen sind keine Kunst, sie sind ein Ereignis. So verkündet es der Künstler. Sie bahnen den Weg zu einem Ereignis esoterischer Qualität. Darüber mag man spekulieren, das Ereignis liegt aber auch auf der Ebene der Bilder. „Alle Augen links“ zeigt in einem vergoldeten Oval aus Weizenkörnern mindestens zehnmal einen Frauenkopf aus Michelangelos Sixtina. Darüber ist auf einem hellblauen Holzbrett der berühmte Jünglingskopf zwölfmal hintereinandergereiht. Auch er schaut, in Erwartung des göttlichen Odem, wie der Frauenkopf, nach links, wo am Ende des Bretts eine vergoldete Porträtbüste Lenins prangt. Allerlei Laubsägearbeiten, gelbe Sterne und weiße Wolken, verzieren die Bildmotive dekorativ und schaffen verbindende Strukturen. 120 Tafeln dieser Art, fein säuberlich zusammengesetzt aus Alltagsgegenständen wie einem Metermaß oder einer Elektrogitarre, Spielzeugobjekten und hehren Bildmotiven der Kunstgeschichte von Rembrandt bis Picasso und ornamentierenden Eiern, Flügeln, Blitzen und Goldstaub, hat Wilhelm Grönemeyer, Herberts Bruder, nach Berlin gebracht. Es ist völlig durchgeknallter, heilloser, großartiger Kitsch – mit Betonung auf großartig. Das lockt den Snob im Betrachter hervor, der geneigt ist, das Ganze als very camp hoch zu schätzen. Der Intention des Künstlers, dem leider jeder Sarkasmus fern liegt, tut dies unrecht. In der realen Verdoppelung der Magritteschen fliegenden Brote sind diese mit Goldstaub- und sternen bestreut, was der sanften Ironie einer hinzugefügten rosaroten Hand, die mit einem Schmetterlingsnetz vier dieser Brote einfängt, Abbruch tut.

Bis 08.05., Schlüterstr. 38/39, täglich 12-20 Uhr.

Das Problem poetischer Beschönigung ist auch in Gerhard Winklers Fotoarbeiten virulent. Die nostalgische Technik kolorierter Schwarzweißfotografie bringt die Ansicht einer Bahnstation am Industriehafen in Lissabon in das entrückte Licht, das die goldene Abendstimmung verblassender alter Fotografien kennzeichnet. Zumal Winklers Technik stupend ist. In „Ultramarino – überseeisch“ (1993/94) sind die Lichter auf dem Wasser durch die Übermalung derart gesteigert, daß das Flüssige zum geleeartig erstarrten Stoff wird, in dem die Fischschwärme feststecken. Aber der Bann des Schönen ist gebrochen, der Anschein einer eher eklig glänzenden Struktur tritt ein. 32 Wolkenformationen zeigen die ästhetische Differenz von Kolorierung und Farbfotografie. Nicht deren bekanntes, glattes Entgegenkommen zeichnet das luftige Naturschauspiel aus. Die Stimmung bricht sich an der stumpfen Bildoberfläche. Die Mietskasernen von Lissabon erinnern an die römischen Vorstädte Pasolinis. Vielleicht wegen des spezifischen Technicolor des Kinos der sechziger Jahre, vielleicht, weil man in Italien noch bis in die siebziger Jahre diese farbkolorierten Postkarten bekam, denen die gleiche morbide Schönheit einer menschenleeren, trostlosen Betonmoderne eigen war, die Winklers sozialen Wohnungsbau kennzeichnet. In der Ödnis der Vorstädte ist eine einzige Plakattafel mit einem Jungenporträt keine Werbung. „In meinem Alter ist mein Platz in der Schule“ ist eine Kampagne gegen Kinderarbeit.

Bis 21.05., Galerie Vierte Etage, Bregenzer Str. 10, Mi-Sa, 16-19 Uhr

Auch Sebastian Otto zeigt in der Galerie Querformat Schwarzweißfotografien, die er mit Ölfarbe übermalt. Der ästhetische Effekt ist ein stark malerischer Eindruck: Die menschliche Figur wird vor einem gelb-braunen Hintergrund dunkel, schattenartig in der unscharfen Bewegung festgefroren. In ihr erscheint die Figur zerdehnt, an anderer Stelle zusammengeballt. Der solcherart fragmentierte Torso wirkt manchmal geradezu maskiert, wie ein japanischer Samurai; manchmal besonders nackt, einem unwägbaren Schmerz ausgeliefert. Dies wird auch in fünf Fotoarbeiten deutlich, die auf Leuchtkästen aufgezogen sind. Auch hier zeigen sich Körper und Gesicht in einem Gestus, der durch die Bewegung verstellt und undeutbar erscheint. Vielleicht rühren die Konvulsionen von der „Ameisenstraße“ her, die Anja Fußbach aufgebaut hat. 50 Insekten krabbeln aus dem Keller der Galerie herauf, entlang einer aufgeständerten Eisenschiene, die überkopfhoch durch sämtliche Räume führt. Entgegen dem Trend zur absolut glatten, hyperartifiziellen Kunstsstoffoberfläche der neuesten figurativen Bildhauerobjekte, wie sie der Ballerina-Clown von Jonathan Borofsky repräsentiert, sind Fußbachs Ameisen Relikte des erst kürzlich verabschiedeten Heavy- Metal-Zeitalters. Daher findet sie ihr Ausgangsmaterial, NVA-Granathülsen, Baustahl und zerschredderte Eisenbleche, auf dem Müll. Es ist rostiger Hardcore, der gegen die Computersoftwareoberfläche der Plastikpuppen die sinnlichen Katastrophen-Tugenden amerikanischer Science-fiction-Filme hochhält.

Bis 20.05, Apostel-Paulus-Str. 35, Mi u. Fr 15-18 Uhr, Do 15-20 Uhr, Sa 11-14 Uhr.

Oberflächliche Mullverbandqualitäten zeichnen Freda Heydens überdimensionierten, bis vier Meter langen weißen „Steckenpferde“ aus, die sie im völlig versandeten Turmraum der Galerie Tammen & Busch installierte. Auch sie will mit dem Material des Nesselstoffs, den sie über ihre Pappmaché-Skulpturen klebt, das ästhetische Moment der Oberfläche ausreizen. In den riesigen Tierköpfen, die auf langen Stangen stecken, wird ihr Thema die Balance. Nicht nur, weil eines der Fabelwesen tatsächlich auf dem Seil tanzt, sondern weil deren Größe mit der Leichtigkeit des Pappmaché in prekärem Widerspruch steht. Wie die, im Verhältnis zum Rumpf endlos in die Tiefe reichenden Ruderkeulen, die sie ihren lachsrot pigmentierten „laufenden oder schwebenden Schiffen“ beifügt. Die großen Tafelbilder „Zwischen Nagel und Hammer“ beeindrucken als weiteres Thema, das Heyden in der Form merkwürdiger Knüppel und der Farbe verwundeter Haut visualisiert: Der Schlag und der blaue Fleck, der zunächst als rote Schwellung erscheint. Der Körper als Resonanzkörper.

Bis 08.05., Fidicinstr. 40, Di-Fr, 13-18.30, Sa 11-14, So 15-18 Uhr. Brigitte Werneburg