„Psst, nicht stören!“

■ Der bekennende Reiseräuber Rainer Weichert sammelt aus Leidenschaft Türvorhängeschilder von Hotels

Wenn es ruhig wird in den Hotels dieser Welt, dann schlägt er zu. Auf leisen Sohlen schleicht er heran und nimmt sich, was er braucht. Sein Name: Rainer Weichert. „Ein Griff, und dann schnell weiter“, gesteht er. „Bis jetzt bin ich noch nie erwischt worden. Aber ich bin kein Kleptomane!“

Weichert befindet sich in bester Gesellschaft. Er bestiehlt Hotels. Aber er raubt nicht aus schöder Gewinnsucht, so wie andere Leute Handtücher und Seife. Er sammelt aus Leidenschaft Türvorhängeschilder. 500 Exemplare nennt er inzwischen sein eigen. „Die meisten hab' ich gemopst!“

Türvorhängeschilder – das sind die „Bitte nicht stören“- Schildchen an den Klinken der Hoteltüren. Sie signalisieren, daß man seine Ruhe haben möchte. Sie helfen, sich gegen die Putzkolonne zu schützen, die allmorgendlich ihren Reinigungs-Feldzug gegen den wohlverdienten Schlaf der Herrschaften antritt. Sie sind das äußerst probates Mittel gegen übereifrige Minibar-Auffrischer, unerwartet eintretende Frühstückskellner und andere prinzipiell willkommene, manchmal aber störende Bedienstete.

Hotels haben kein Standardvorhängetürschild. Fast jedes Hotel, zumindest aber jede Kette, läßt ihr eigenes Modell drucken. Auf den meisten steht schlicht: „Do not disturb.“ Aber es gibt auch sprachliche Nuancen, vom höflichen „A little privacy please“ in einem Hotel in Hongkong zum deutsch-brachialen „Nicht stören!“. Während manche Hoteliers ihrer internationalen Kundschaft fünfsprachig gerecht zu werden suchen, setzen andere auf die Kraft der Bilder. Eine Eule, ein sägender Tobias Knopp, ein Page mit Nachtmütze und Teddy – was immer an Schlaf erinnert, ist abgebildet. In geradezu surrealistischer Symbolik ergeht sich die britische Ramada-Kette: Ein Vollmond mit geschlossenen Augen rollt vor einer durchkreuzten Tür treppab.

Niveau und Standort der Hotels lassen sich aber kaum aus den Karten lesen. Fehlt der Name des Hotels, dann rätselt auch der Kenner vergebens. „Die größte Vielfalt findet man in Asien“, weiß Hotelintimus Weichert, „die deutschen sind recht einfallslos – viel Hausmannskost in Rot und Grün.“ Moden unterliegt die Branche kaum. Nur kurze Zeit wurde auf den Schildchen Eigenwerbung betrieben; und auch die Epoche der Schnörkel ging vorüber. Als funktionell hat sich durchgesetzt, die andere Seite der Schilder mit einer Aufforderung zum Aufräumen zu versehen. Der aushäusige Hotelgast will sagen: „Please make up room now!“ Davor allerdings warnt der Schilderfan: „Das sind doch alles Wegweiser für Hoteldiebe.“

Rainer Weichert, beruflich viel unterwegs, ist inzwischen Koryphäe in Sachen Hoteltürvorhängeschilder. Um seinen weltweit größten Konkurrenten (1.100 Schilder) einholen zu können, riskiert er schon mal, für einen Voyeur gehalten zu werden. „An den Türen hängen mehr Schilder, als ich mir Gründe vorstellen kann, sie herauszuhängen.“ Deren Schöpfer scheinen mehr zu wissen, aber sie halten die Schlüssellöcher bedeckt. Warum der Frosch mit dem Badetuch, den der Zeichner Janosch für sein Stammhotel in Hinterzarten gemalt hat, nicht gestört werden möchte, kann man sich noch denken. Was aber besagt das hüpfende Känguruh aus Australien, was das Düsseldorfer Blumenmädchen vor psychedelischem Blätterwerk?

Die Obsession des 44jährigen Moersers liegt in seiner Biographie: „Ich habe diese Sammelleidenschaft, weil ich nie ausschlafen durfte und immer mein Zimmer aufräumen mußte.“ Im Herbst will Weichert seine Sammlung erstmalig ausstellen. Das „Do not disturb“-Schild vom ehemaligen Secret-Service-Hauptquartier wird dabeisein, ebenso das Schild aus dem Hotel, in dem Blues Brother James Belushi Selbstmord beging.

Welche anderen mysteriösen Geschichten die Pappkarten einmal verdeckt haben, muß im dunkeln bleiben. Weichert schweigt über seine Mittelsmänner, die ihm die begehrten Schildchen gegen Reisenähsets oder Telefonkarten zugespielt haben. Vermutlich Kleinstkriminelle aus bürgerlichen Kreisen, die in der Hoffnung zugegriffen haben, die Lieben daheim ebenso elegant loszuwerden wie das Personal im Hotel.

Warum eigentlich kann man den Störenfrieden nicht einfach einen Riegel vorschieben? Zugegeben, das mag etwas zu sehr nach Toilette riechen; vielleicht sind es aber auch einfach Sicherheitsbedenken der Hoteliers. In jedem Fall mißbilligen Hotelfans wie Weichert einen neuen Trend in Spitzenhotels: Hier soll die Intimsphäre mit einem roten Licht über der Tür geschützt werden – ein Brauch, der bislang vor allem dort zu Hause war, wo man pro Stunde abrechnet.

Dann schon lieber etwas Originelles. Wer es ganz exklusiv haben möchte, muß allerdings weit jetten, auf die karibischen Grenadines. Dort tut der Ferienhausbewohner dem Dienstpersonal seine Wünsche durch das Hissen bestimmter Flaggen kund. Michael Allmaier