■ Muttertagsqualitäten
: Hilfe, „Maifeiertag“!

Tut mir leid: Aber den 1. Mai habe ich nie gemocht. In meiner Jugend war er zum „Tag der nationalen Arbeit“ verkommen, weil die Faschisten daran herumgefummelt hatten. Später, in der sogenannten Demokratie, wurde er zum Fahnenschwingertag, wobei die Fahnenschwinger meist keinerlei Ahnung hatten, wofür sie schwangen. Nach der Massenmotorisierung fuhr man als Demonstrationsprofi gleich auf drei oder vier Kundgebungen hintereinander und fühlte sich als Klassenkämpfer. Che schifo, habe ich mir immer dabei gedacht, wie ekelhaft.

Einen „Tag der Arbeit“, wie ihn die Mitteleuropäer nennen, ein „Fest des Arbeiters“, wie die im Süden und auch die meisten sozialistischen Staaten dekretiert haben – welch ein Unsinn. Gearbeitet wird 365 Tage im Jahr, davon früher 320 in der Fabrik und den Rest zu Hause, heute 200 am sogenannten Arbeitsplatz und 100 zu Hause, der Rest ist Löcher in die Luft gucken, was für viele aber auch Arbeit ist. Damals wie heute gab es nichts zu feiern: früher, weil es blanker Hohn war, die aufreibende, verschleißende Arbeit auch noch zu ehren. Heute, weil man die längst zum Job und zur Beutelschneiderei gewordene Beschäftigung der meisten zumindest in den Industriestaaten gar nicht mehr als Arbeit erkennen kann – und weil diejenigen, die von derlei ausgeschlossen sind, und das sind Abermillionen, sich sowieso nur verhöhnt fühlen müssen.

Der 1. Mai kommt mir vor wie der Muttertag: Einmal im Jahr gedenkt man auch der Tatsache, daß der Mensch durch den Schmerz der Mutter zur Welt kommt, und so auch, daß man die Welt nur durch Arbeit bewältigen kann; aber schon bald nach Einführung dieses Gedenktages war das Gedenken wieder futsch. Mochte früher für viele ausgemergelte Frauen vielleicht der Tag, an dem die Kinder brav, der Mann treu und der Frühstückstisch gedeckt war, wirklich ein paar Stunden Ausspannen bedeuten – doch schon bald senkte sich der Zwang über den Muttertag, man „mußte“ zur Mamma, ihr Blumen und anderes schenken, der Konsum zog ein, und die Mamma verlebte diesen Tag angespannter als viele andere Tage im Jahr. Welch ein Unsinn.

Wer die Welt verändern möchte, muß bereit sein, dafür auch mal dreinzuschlagen, sich auszusetzen, sich zu gefährden. Aber doch bitte nicht jährlich wiederkehrend im Rahmen eines Festes und eines Aufmarsches, sondern dort, wo die Klassenauseinandersetzungen wirklich stattfinden, seinerzeit wie heute: am Arbeitsplatz, im Widerstandskampf gegen Diktaturen, im Schützengraben der Bürgerkriege. Mario d'Acquisto

Der Autor, 84, kämpfte im spanischen Bürgerkrieg auf der republikanischen Seite, wurde später von den italienischen Faschisten eingesperrt, organisierte südlich von Latina die „Resistenza“ und nahm in Kuba an der Zurückschlagung der Schweinebucht-Invasion teil