Otto Rehhagel 1963: Ein „menschlich vorbildlicher blonder Anstreicher“

■ Werder-Trainer-Denkmal Otto Rehhagel und seine längst vergangene Liaison mit der alten Dame Hertha

Berlin (taz) – Otto Rehhagel sieht man häufig im Café. Dort sitzt der naturalisierte Bremer dann, gänzlich absorbiert von einem Stapel Zeitungen. Pflegt das Trainer-Denkmal von der Weser gemeinhin einen distanzierten Umgang mit der Journaille, so hält ihn das nicht ab, die Fußball-News aus dem Blätterwald akribisch auszuschlachten. „Rehhagel zu Hertha BSC Berlin“. Keine Sorge, die Schlagzeile ist alt, Otto, der 56jährige, hat die Hauptstadtfrage für sich nicht neu gelöst. Aber Otto, der 25jährige, hatte einen Koffer in Berlin. Anno 1963, im Jahr, als Cassius Clay verkündete, er sei der Größte, und die Fußball-Bundesliga in den Kinderschuhen steckte, zog Rehhagel, ein „echtes Kind der Bundesliga“ (Selbsterkenntnis), an die Spree. Für 10.000 Mark auf die Hand und 50.000 Mark Ablöse an Rot-Weiß Essen, mit denen Verteidiger „Rauhbein“ gerade in die 2. Liga West hinabgestiegen war. Über seine Lehr- und Wanderjahre könnte sich Rehhagel im Bistro informieren, wäre ihm wie uns auf einem Flohmarkt die Berliner Illustrierte Zeitung vom 31.8.1963 in die Hände gefallen. Back to the roots. Otto von Essen war schon als zarter Jüngling ein ambitionierter Mann: „Er wollte am großen Fußball teilhaben.“

Über das junge Geschlecht der Fußball-Ottonen erfahren wir aus dem vergilbten Blatte so mancherlei. Verdienst: „1.200 Mark im Monat.“ Charakter: „Rot-Weiß Essen machte den menschlich vorbildlichen Anstreicher zum Mannschaftskapitän.“ Privatleben: „Junggeselle Otto bewohnt in Moabit ein möbliertes Zimmer und hat schon Heimweh. Seine attraktive Kölner Freundin kann ihn nur selten in Berlin besuchen.“ „Kontrollierte Offensive“? Na ja, weit mehr jedenfalls, als Rehhagel seit seiner endgültigen Inthronisation als Werder-Trainer im April 1981 angesichts von Journalisten-Notizblöcken von sich zu geben pflegt. Fortan hielt es Otto, der erlauchte Coach, nämlich mit der Devise: „In der Öffentlichkeit habe ich immer den Radarschirm eingeschaltet und bin sehr vorsichtig mit meinen Äußerungen. Nur zu Hause kann ich frei reden“ (Sport-Bild).

Mauern konnte Otto allerdings bereits mit 25. Der „athletische Bursche aus dem Westen“ war nebst den Stürmern Uwe Klimaschefski (Bayer Leverkusen), Harald Bayer (Preußen Münster) und Karl-Heinz Rühl (Viktoria Köln) als Mann fürs Defensive auf die Insel beordert worden. Formkurve: „Beim ersten Training sah Otto ulkig aus. Bisher bleiben seine Leistungen hinter den Erwartungen zurück.“ Mit tiefen Sorgenfalten in der Stirn fragte sich der Schreiberling vor 31 Jahren fürderhin, ob denn Trainer Jupp Schneider seine Kicker überfordere? „Was ich verlange, leisten Schüler im Nachwuchslehrgang“, entgegnete jener, dessen barscher Ton Otto (56), dem „demokratischen Diktator“ (Selbstbezichtigung), nach seiner Metamorphose auf der Bank offensichtlich immer noch zu imponieren scheint. Oder „liegt es daran, daß die vier Neuen noch keiner beruflichen Arbeit nachgehen“? Selbige hat Anstreicher Otto inzwischen an der Weser gefunden. Angeschmiert ist indes die alte Dame Hertha, kurz vor ihrem Absturz zu den Amateuren. Cornelia Heim