Den Blauhelm neu erfinden

Ein Sammelband zur Reform der UNO und der zukünftigen Rolle von Blauhelmen in einer wahrlich „turbulenten Welt“ / Was heißt „Peace-keeping“ und warum will die Bundesregierung dies nicht begreifen?  ■ Von Achim Schmillen

Am 11. April 1994 erklärt der UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali, daß sich Bundeswehrsoldaten nicht an Kampfeinsätzen beteiligen müßten, sondern eine Beteiligung bis zu 3.000 deutschen Soldaten an friedenerhaltenden Maßnahmen (Blauhelm-Missionen) für die Stärkung der Vereinten Nationen vollkommen ausreichend sei.

Für alle, die sich umfassend mit Peace-keeping und den Blauhelm- Missionen der Vereinten Nationen auseinandersetzen wollen, erscheint nun noch rechtzeitig ein von Winrich Kühne herausgegebener Band mit dem Titel „Blauhelme in einer turbulenten Welt“, in dem das gesamte Spektrum der friedenbewahrenden Missionen der Vereinten Nationen ausführlich durchleuchtet wird. Stärken und Schwächen, Entwicklungsstadien, die Einbettung in das Völkerrecht, die finanziellen und personellen Schwierigkeiten, aber auch notwendige Fortentwicklungen werden von ausgewiesenen Experten dargestellt. Auch hochrangige Praktiker der Vereinten Nationen kommen zu Wort, wie Roy S. Lee, James O.C. Jonah oder Giandomenico Pico. Neben Beiträgen zur Fortentwicklung des Völkerrechts, der Reform des Sicherheitsrates und dem Vorschlag des UN-Generalsekretärs einer „Agenda for Peace“ nimmt die Darstellung des Leistungsvermögens der regionalen Abmachungen, wie OAU oder OAS, breiten Raum ein, sowie die Möglichkeiten und Schwierigkeiten der präventiven Diplomatie. Ausführlicher betrachtet werden die UN-Missionen in Westafrika (Ecomog) und in Kambodscha (Untac). Besonders interessant und aufschlußreich ist der Beitrag von Hartwig Hummel, der die Blauhelm-Diskussion in Japan beschreibt und bilanziert. Es wäre sicherlich wünschenswert, wenn mit vergleichbarem Engagement eine Debatte in Deutschland stattgefunden hätte. Ähnlich wie in der Bundesrepublik ist hinsichtlich der Außenpolitik allerdings ein Konsens nicht in Sicht.

Winrich Kühne selbst begründet in seinem einführenden Beitrag die Fortentwicklung der klassischen Blauhelm-Missionen zum von ihm so bezeichneten „robusten Peace-keeping“. Ausgangspunkt seiner Überlegung ist die Feststellung, daß sich das Peace- keeping von „einem statischen und relativ einfachen Modell der Konfliktberuhigung zu einer dynamischen und multidimensionalen Konfliktlösung entwickelt“ hat. Er verweist hier, ebenso wie der Beitrag von Peter Bardehle, auf die steigende Bedeutung der zivilen Komponente des Peace-keeping. Die Blauhelm-Missionen würden aber immer häufiger an Grenzen stoßen, zumal sie eben nicht mehr zur Sicherung eines Waffenstillstandes eingesetzt würden, sondern (auch im Rahmen der Prävention) wesentlich früher in die Konflikte eingebunden würden. Kühne versteht unter robustem Peace-keeping nicht eine „neue Form der Kriegsführung“, sondern „die Installierung eines stabilen, therapeutischen Verhandlungsrahmens zur Begrenzung und Lösung ethnischer und religiöser Konflikte“. Und dazu müßten die Blauhelme unter Umständen auch militärische Gewalt anwenden können, deshalb die Charakterisierung dieser Einsatzform als „robust“.

Allerdings darf „der hierfür selektiv eventuell notwendige Einsatz militärischer Gewalt ... nicht mit Kampfeinsätzen im Rahmen traditioneller Kriegsführung gleichgesetzt werden, weder was die Einsatzform noch was ihre Dynamik betrifft! Nicht sie ist ihr Ziel, sondern die Aufrechterhaltung des Friedens- und Verhandlungsprozesses und der dafür notwendigen Voraussetzungen.“

Kühne zieht in seinem Beitrag klare Trennlinien zwischen verschiedenen Einsatzformen und entwirft einen Kategorisierungsplan von Einsatzformen, in den robustes Peace-keeping sinnvoll eingepaßt ist. Er weiß auch um die Schwachpunkte seiner Argumentation und greift die meisten kritischen Einwände gegen seinen Vorschlag selbst auf. Zu nennen sind die Gefährdung der neutralen Vermittlerrolle der Vereinten Nationen, die Gefahr von Vergeltungsschlägen und Geiselnahmen von VN-Personal und die nicht unbeträchtliche Eskalationsgefahr. Kühne blendet bei seinem Vorschlag allerdings den interessengeleiteten Umgang der Bundesregierung mit der Blauhelm-Debatte aus. Sie betrachtet das friedenbewahrende Engagement der Blauhelme nur als Vehikel und notwendiges Durchgangsstadium für eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik, um die Option des weltweiten Einsatzes der Bundeswehr zu erhalten.

Ihr ging es zu keinem Zeitpunkt um die Stärkung der Vereinten Nationen. In solch einem Diskussionsklima und in diesem Denkgebäude ist der Vorschlag Wasser auf die Verschleierungsmühlen der Bundesregierung. Sie will die vorhandenen Unterscheidungsmöglichkeiten lieber plattwalzen, damit mit dem Etikett des Peace-keeping sämtliche Einsatzformen der Bundeswehr möglich werden.

Wer aber die Vereinten Nationen wirklich stärken will, muß für eine Anpassung und damit eine Fortentwicklung des Peace-keeping eintreten, aber gleichzeitig Wert auf trennscharfe Kategorisierung legen.

Die Bundesregierung hat kein Interesse an dem einen, somit auch nicht an dem anderen. Wer erstklassige Informationen zum Peace-keeping benötigt, ist mit dem Band von Winrich Kühne gut bedient.

Winrich Kühne: „Blauhelme in einer turbulenten Welt. Beiträge internationaler Experten zur Fortentwicklung des Völkerrechts und der Vereinten Nationen“. Nomos- Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1993, 571 Seiten, 49 DM