Linksruck in der Hamburger SPD

■ Eklat bei den Vorstandswahlen: Partei-Rechte schmeißt hin / Kompromißloses Nein zum Transrapid / Kuhbier fordert Senat heraus Von Florian Marten

Gejohle, Gelächter, versteinerte Gesichter – dann Auszeit, persönliche Erklärungen, eine ratlose Versammlungsleitung, verzweifeltes Blättern in der SPD-Satzung: Kurz vor Ende des SPD-Landesparteitags am Wochenende im Bürgerhaus Wilhelmsburg kam es zu einem Polit-Eklat, wie ihn die SPD seit Jahren nicht erlebt hat.

Mit zornrotem Gesicht schleuderte Volker Lange, Chef des stramm rechten Kreises Mitte, den 300 Parteitagsdelegierten ins Gesicht: „Ihr habt der Partei einen Bärendienst erwiesen. Ein Teil der Partei fühlt sich in diesem Landesvorstand nicht mehr vertreten. Ich nehme meine Wahl nicht an.“ Nach ihm gab auch die Altonaer Rechtsauslegerin Petra Adam-Ferger ihr gerade errungenes Vorstandsmandat zurück.

SPD-Fraktionschef Günter Elste (Wandsbek) formulierte seine Wut etwas bedächtiger: „Es ist schade, daß wir mit dem neuen Landesvorsitzenden einen etwas ungünstigen Start hatten.“ Was war geschehen? Zunächst hatte der Parteitag brav den Parteichef, seine ausgekungelten Stellvertreterinnen, zwei ArbeitnehmervertreterInnen und die sieben KreisfürstInnen frei von jeder Gegenkandidatur in den Vorstand gehievt.

Erst bei der geheimen Wahl der restlichen 12 Vorstandsmitglieder, hier rangelten 17 KandidatInnen um 12 Plätze, schlugen die Delegierten zu: Sie variierten das vom Landesvorstand vorgeschlagene 12er-Pack an einer Stelle und wählten gegen die vorherige Abmachung der Seilschaften statt des rechten Nachwuchs-Jusos Markus Schreiber (Kreis Mitte) den linken Eimsbüttler Fuhrmann Jan Jalass.

Als daraufhin Jubel und Gejohle ausbrachen und Elste für den rechten Flügel eine Auszeit nahm, fragten sich zunächst selbst altgediente Politjournalisten ratlos: Warum? Dann dämmerte es: Der rechte Flügel hatte den kleinen demokratischen Akt des Parteitags als heimtückischen Verrat empfunden. Die kunstvoll gezimmerte Balance des 24köpfigen Landesvorstandes, so ein rechter Insider, sei „nach links gekippt“. Lange und Adam-Ferger verloren die Nerven, Beschwichtigungsversuche der Wandsbek-Connection halfen nichts. Auch der frischgebackene Parteichef Jörg Kuhbier konnte die Wogen nicht mehr glätten.

Der Parteitag, richtig in Fahrt gekommen, setzte gleich nach: Gegen die Empfehlung des Verkehrssenators Eugen Wagner und des (alten) Landesvorstandes verabschiedete die SPD mit überwältigender Mehrheit ein unmißverständliches Nein zum Transrapid: „Die SPD Hamburg lehnt den von der Bundesregierung geplanten Bau einer Transrapidstrecke zwischen Hamburg und Berlin ab. Senat und Bürgerschaft werden aufgefordert, ihre Möglichkeiten zur Verhinderung dieser Pläne zu nutzen.“

Schon zu Beginn des Parteitags hatte Jörg Kuhbier mit einer eindrucksvollen politischen Grundsatzrede gezeigt, daß die Partei sich künftig nicht mehr mit der Rolle einer Beifallsmaschine für die Regierungspolitik zufrieden geben will. Er kündigte an, die Partei werde Großprojekte kritisch überprüfen, die Einlösung ihrer verkehrspolitischen Programme einfordern, dem Abbau von Bildungsinvestitionen entgegentreten und Mut zum Griff in die Taschen von Besserverdienenden mitbringen: Schulgeld für reiche Eltern, Erhöhung der Gewerbesteuer.

Akzente setzte Kuhbier auch in Sachen Müllofen Wilhelmsburg: Während sich Senatoren und Parlamentarier nicht zu den Demonstranten vor dem Parteitagsgebäude trauten, versprach Kuhbier den Protestierenden, es werde eine neue, öffentliche Prüfung und Diskussion unter Beteiligung der Betroffenen geben: „Dafür gebe ich mein Wort.“ Kuhbiers Auftreten, so meinten politische Beobachter am Rande des Parteitags in seltener Einmütigkeit, demonstriere einen völlig neuen und ungewöhnlichen Machtanspruch des Parteichefs gegenüber Senat und Fraktion, ein Verstoß gegen die ungeschriebenen Gesetze der SPD-Führungstroika (Stadt-, Fraktions- und Parteichef), die dem Parteichef bislang die Rolle des dienenden Juniorpartners zuwies.