Der ungläubige Thomas

■ Ein Schiedsrichter spielt „Ich sehe was, was du nicht siehst“, die Münchner Bayern finden ihr sprichwörtliches Glück wieder und gewinnen gegen Nürnberg mit 2:1

Berlin (taz/dpa) – Fußballprofis recken gern die Arme in die Höhe. Ob es nun um Abseits oder Einwurf geht, ob nach einem Foul Unschuld demonstriert werden soll – mal ist es nur einer, mal sind es beide Ärmchen, die wahlweise hochgestreckt oder seitlich ausgefahren werden. So was lernt man schon in der Jugend. Besonders beliebt auch der demonstrative Torverdachtsjubel. Wird ein Ball in der Nähe der Torlinie weggeschlagen, kugeln sich elf erwachsene Männer hysterisch übereinander. Der Hintergrund dieses Verhaltensmusters ist der unerschütterliche Glaube, daß Schiedsrichter irgendwas auf die Meinung von Spielern geben würden. Ein Glaube, das wissen wir, wie er falscher nicht sein könnte. Auch im Olympiastadion zu München wurde diese Tatsache wieder untermauert, aber diesmal war alles ganz anders.

Und das kam so: In der 24. Minute des Bundesligaspiels der ortsansässigen Bayern, die nach der Meisterschaft trachten, gegen die lokalderbymäßig und durch das Abstiegsgespenst aufgeputschten Nürnberger wurde eine Ecke in den fränkischen Strafraum getreten. Nach einigen unwesentlichen Berührungen verirrte sich der Ball in den Rücken von Helmer, der blöderweise nicht seinen Platz auf der gegnerischen Torlinie räumte, denn dann wäre das alles nicht passiert und ein schlichtes Tor gefallen. Statt dessen beförderte Helmer das Leder ungewollt per Hacke ins Toraus. Der Nürnberger Torwart Köpke, der die Situation in nächster Nähe liegend beobachtet hatte, tätschelte den netten Retter. 63.000 stöhnten, während sich 22 Spieler wieder ihrem Tagwerk zuwenden wollten. Nur zwei wollten – von Berufs wegen mißtrauisch – dem Friedefreudeeierkuchen nicht trauen. Die Herren heißen Hans-Joachim Osmers und Jörg Jablonski. Sie nahmen Blickkontakt auf und waren sich einig: Wenn 22 Profis und 63.000 Zuschauer so einträchtig sind, muß was faul sein. Und weil Herr Jablonski nickte, rannte Herr Osmers zum Anstoßpunkt und verkündete, daß der Herr Helmer gerade ein Tor erzielt habe, was der zwar nicht recht glaubte, aber gezwungenermaßen dann halt zur Kenntnis nahm. Der folgende Jubel der Bayern gestaltete sich dann auch eher pflichtschuldig.

Alles wäre ja eigentlich kein Problem geworden, wenn die Münchner nicht unbedingt den Köpke wieder zur Nummer eins im Nationaltor hätten schießen wollen und deshalb reihenweise beste Chancen so plazierten, daß der Nürnberger Keeper Haltungsnoten sammeln durfte. Und als auch noch der Ex-Bayer Manfred Schwabl gegen seinen Spezi Raimond Aumann einen Elfmeter für Nürnberg verschoß und so den bajuwarischen Sieg rettete, da gab's dann doch ein Problem.

„So ein blinder Linienrichter“ (Köpke) war noch eine der netten Dinge, die über die unparteiischen Herren gesagt wurden. Der unfreiwillige Torschütze Helmer „hat sich auch gewundert“. Und Elfmeterkiller Aumann kommentierte die Rückkehr des längst sprichwörtlich gewordenen Bayern- Glücks mit Erinnerungen aus seligen Kinderzeiten: „Mir ist schon von klein auf beigebracht worden, daß Tor dann ist, wenn der Schiedsrichter pfeift.“ Ja damals, als die Guten im Film immer die weißen Anzüge trugen.

Nur die Nürnberger, nun wieder in akuten Abstiegsnöten, zeigten sich trotzdem generös. „Einen menschlichen Fehler muß man auch verzeihen können“, nettelte Trainer Zobel, und Club-Schweizer Sutter lächelte, lächelte, so wie er es seit Wochen tut. Nein, ein Tor war es natürlich nicht – und lächelte. Nur das Präsidium des 1. FCN lachte nicht, wird „die entstandene Situation eingehend prüfen“ und voraussichtlich Protest einlegen. Sollte dieser Erfolg haben, wäre dies überhaupt erst die zweite Revidierung einer Tatsachenentscheidung eines Schiedsrichter in der DFB-Geschichte. to

1. FC Nürnberg: Köpke - Kubik - Kurz, Wolf - Wiesinger, Straube (81. Criens), Schwabl, Golke, Oechler - Zarate (60. Wück), Sutter

Zuschauer: 63.000 (ausverkauft), Tore: 1:0 ? (24.), 2:0 Helmer (65.), 2:1 Sutter (78.)

FC Bayern München: Aumann - Matthäus - Kreuzer, Helmer - Jorginho, Schupp, Scholl, Nerlinger (75. Münch), Sternkopf (65. Hamann) - Witeczek, Valencia