■ Kandidatennominierung bei Berlins Bündnisgrünen
: Doppelt quotiert ist halb gewonnen

Wenn die aktuellen Prognosen stimmen, werden im Herbst fünfzig bis sechzig Bündnisgrüne in den Bundestag einziehen, kaum mehr als zehn davon aus der ehemaligen DDR. So ist das eben. Nur in Berlin (wo West und Ost sich gute Nacht sagen) ist alles anders. Hier hat das ehemalige Bündnis 90 bei den Vereinigungsverhandlungen mit der AL eine Quote ausgehandelt, die ihm eine paritätische Listenbesetzung garantieren und eine Majorisierung der 300 Bündnis- Mitglieder durch die 2.500 Ex-ALer verhindern sollte. Die Befürchtung der Bündnis-Unterhändler war nicht unbegründet: ohne die Schutzbestimmung hätte der Bürgerrechtler Gerd Poppe an diesem Wochenende wohl keine Chance gehabt, wieder in den Bundestag einzuziehen, wäre statt ihm AL-Liebling Christian Ströbele auf den aussichtsreichen zweiten Listenplatz gewählt worden. Doch die Quote funktionierte, und da sich die ehemaligen Bündnis-Mitglieder im Interesse der Poppe-Kandidatur überhaupt geweigert hatten, eine aussichtsreiche Frau für den ersten Platz zur Wahl zu stellen, die zugleich Ost- und Frauen-Quote hätte erfüllen können, blieb der zweite Platz automatisch einem Ost-Mann, also Poppe, vorbehalten. Bitteres Fazit: kein Platz für West-Männer.

Das Berliner Kuriosum und die aufgeregte Debatte im Vorfeld haben hinreichend klargemacht, daß der prinzipielle politische Wille, der in Quotenbestimmung zum Ausdruck kommt, mitunter dem konkreten demokratischen Willen der Wahlversammlung zuwiderläuft. Doch daß in Berlin die tendenziell undemokratischen Implikationen der Quote ausschließlich an der Ost-Parität problematisiert wurden, machte zugleich deutlich, daß die demokratietheoretisch angereicherten Bauchschmerzen der West-Männer doch weniger vom Prinzip Quote als von dessen konkretem Nutznießer verursacht wurden. Gerd Poppe hat mit seiner Kritik eines prinzipiellen Pazifismus urgrüne Gefühle verletzt. Damit wurde die Symbolfigur der DDR-Opposition zugleich zum Symbol für den Angriff auf die programmatischen Bestände der ehemaligen West-Grünen. Daß ausgerechnet für ihn eine Quote bereitstand, um ihn am grünen Mainstream vorbei in den Bundestag zu lotsen, schmerzt manche besonders.

Dennoch wird sich die Ost-Parität auf Dauer kaum festschreiben lassen. Sie sollte Querschläger im Vereinigungsprozeß verhindern, und Poppes Scheitern wäre ein solcher Querschläger gewesen. Dennoch, in Zukunft müssen er und seine Freunde auf ihre politische Durchsetzungsfähigkeit vertrauen. Das in Quoten geronnene Mißtrauen hingegen wäre nichts anderes als das Eingeständnis einer gescheiterten Vereinigung. Wer bei den Bündnisgrünen wollte dies heute behaupten? Matthias Geis