■ Afrika: Weiter soziale Kriege und Revolutionen
: Europas Ekel vorm schwarzen Mann

Somalia, Ruanda, Sudan: drei Länder in Afrika, in denen Bürgerkrieg herrscht. In Somalia sind es die „rivalisierenden Clans“, die einander bekämpfen. Im Süden des Sudan lehnen sich „christliche und animistische Afrikaner gegen die islamisch-arabische Herrschaft“ auf. In Ruanda schließlich hat die „ethnische Feindschaft zwischen der Bevölkerungsmehrheit der Hutu und der Minderheit der Tutsi“ zu den Massakern der letzten Tage geführt.

Diese knappen, immer wiederkehrenden Etiketten, die den Medien weltweit als Erklärungsmuster dienen, verstellen den Blick auf die Wirklichkeit. Die Beschreibung eines Zustands tarnt sich als Erläuterung. Der Hinweis auf ethnische Feindschaften reicht aus, um selbst schlimmste Greueltaten zu begründen. Was Menschen dazu treibt, kleine Kinder bei lebendigem Leib in Stücke zu hacken – es wird nur selten genauer untersucht, wenn sogenannte „Stammeskämpfe“ dafür verantwortlich gemacht werden können.

Die seltsame Genügsamkeit in weiten Teilen der Berichterstattung über Afrika, in der nach den sozialen und ökonomischen Wurzeln ethnischer Rivalitäten kaum gefragt wird, mag seine Ursache in einem in Europa noch immer weit verbreiteten, dumpfen Unbehagen gegenüber dem Schwarzen Kontinent haben. Kein Schauplatz eines Krieges südlich der Sahara, wo nicht dort stationierte UNO-Soldaten und selbst Diplomaten der Berichterstatterin zuraunen, Afrikaner hätten eben eine ganz andere Mentalität als Europäer. Das einzelne Leben gelte ihnen nichts. Wer 15 Kinder habe, verschmerze leicht den Tod von einem.

Genährt wird dieses Klischee durch Bilder von Grausamkeiten, wie sie sich andernorts tatsächlich nur selten ereignen. Wo mit Macheten, Messern und Speeren getötet wird, da fließt mehr Blut als beim zielgenauen Abwurf einer Bombe auf ein militärisches Ziel. Es muß befürchtet werden, daß die Tötung von Feinden, denen man Auge in Auge gegenübersteht, bei manchen, offenbar vor allem jungen Männern etwas hervorruft, was nur noch als Blutrausch bezeichnet werden kann. Der Angriff auf anonyme Gegner in großer Entfernung – Beispiel Golfkrieg – scheint diese Wirkung nicht zu haben. Spätestens seit dem Morden im ehemaligen Jugoslawien aber läßt sich die für Europäer so beruhigende Überzeugung, schreckliche Massaker könnten sich heute nur noch in entlegenen Weltregionen ereignen, nicht mehr aufrechterhalten. Jeder Konflikt läßt sich auf nachvollziehbare Zusammenhänge zurückführen. Mündet er jedoch in einen Krieg, dann brechen sich lange aufgestauter Haß und Frustration auch in irrationaler Grausamkeit Bahn – und zwar meist seitens derjenigen, die niemals Akteure im politischen Spiel der Kräfte gewesen sind, sondern ihm ohnmächtig ausgeliefert waren. In Ruanda, wo es der Hutu- Mehrheit noch vor der Unabhängigkeit 1962 gelungen war, die Tutsi-Feudalherrscher von der Macht zu vertreiben, hatten Intellektuelle, Bürgerrechtler und Oppositionspolitiker in den letzten Jahren über ethnische Grenzen hinweg eine Demokratisierung der Gesellschaft gefordert und 1992 die Einführung des Mehrparteiensystems erzwungen. Aber es gibt in dem zentralafrikanischen Land auch viele, die Grund hatten, Reformen und sogar den Frieden zu fürchten.

Die Zahl der Soldaten hat sich seit Ausbruch des Bürgerkrieges zwischen der Regierung Habyarimanas und der Tutsi-dominierten Rebellenbewegung RPF (Patriotische Front Ruandas) 1990 fast verzehnfacht. Der Friedensvertrag vom August letzten Jahres sah eine Demobilisierung und die Schaffung einer gemeinsamen Armee mit der RPF vor – für viele Militärs eine Bedrohung ihrer Existenz. Das Abkommen garantierte auch Hunderttausenden von Tutsi- Flüchtlingen, die seit Jahrzehnten im Exil leben, das Recht auf Heimkehr. Die Hutu-Landbevölkerung in dem am dichtesten besiedelten Staat Afrikas sah dem mit Sorge entgegen. So ist es kaum verwunderlich, daß in den letzten Tagen mehrheitlich Tutsi Opfer von Gewaltakten geworden sind. Jetzt aber, nachdem Nachbar gegen Nachbar gekämpft hat, wird die neu entflammte Feindschaft zwischen den Ethnien die Politik in Ruanda auch nach dem militärischen Sieg einer Seite noch lange maßgeblich mitbestimmen. In Europa wird davon nur wenig zu hören sein. Über Afrika wird noch weit mehr als über andere Teile der Welt vor allem dann berichtet, wenn langfristige Entwicklungen in spektakuläre Höhepunkte münden, was davor und danach geschieht, findet meist nur wenig Aufmerksamkeit. Das Geschehen dort hat für die reichen Industrienationen weit weniger Bedeutung als das, was im ehemaligen „Ostblock“ vor sich geht.

Der zum Schlagwort geronnene Satz, daß die eine Hälfte der Welt ohne die andere nicht überleben könne, hält einer Überprüfung nicht stand. Afrika ist für die Industrieländer weder von nennenswerter wirtschaftlicher Bedeutung noch eine militärische Bedrohung. Flüchtlinge, die ein Weltmeer zu überqueren haben, lassen sich durch rigide Maßnahmen wenigstens eine Zeitlang vom rettenden Ufer fernhalten. Beschäftigung mit Afrika verdankt sich heute eher einem Rest humanen Denkens als zwingender Notwendigkeit

Zu Zeiten des Kalten Krieges war das anders. Die Weltmächte wetteiferten um Einfluß in der Region. Verschiedene Konflikte in Afrika galten Beobachtern stets ausschließlich als Stellvertreterkriege in der Konfrontation der Systeme. So war die Hoffnung groß, daß es mit dem Zusammenbruch der alten Weltordnung nun eine Chance gebe, in Afrika gerechte, demokratische Verhältnisse zu etablieren. Erst ganz allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, daß die Probleme des Kontinents weit vielschichtiger waren, als jene geglaubt hatten, die die Möglichkeit haben, den Geldhahn auf- oder zuzudrehen.

Es ist wahr, daß die Weltmächte von einst politische Gruppierungen dazu benutzt hatten, um ihre eigenen Konflikte möglichst risikolos austragen zu können. Die heute weltweit beklagte Korrumpierbarkeit afrikanischer Regierungen, die Bestechlichkeit bis hinunter auf die unterste Verwaltungsebene, der Mangel an Fachkräften, all das lag früher durchaus im Interesse der um strategischen Einfluß ringenden reichen Länder. Gekaufte Politiker sind leicht zu kontrollieren. Die Rechnung wird jetzt präsentiert: Nun stellt sich heraus, daß die „Stellvertreterkriege“ von afrikanischen Politikern ebenfalls benutzt worden waren, um eigene Interessen durchzusetzen. Es ist nur folgerichtig, daß Kriege jetzt mit weit größerer Härte geführt werden. Für viele Machthaber geht es ums letzte Gefecht.

Noch läßt sich nicht absehen, wie neue, eigene Gesellschaftsstrukturen in Afrika aussehen werden. Fest steht nur: Das Zeitalter der sozialen Kriege und Revolutionen ist auf dem Kontinent noch nicht vorbei. Will der reiche Norden verstehen, was vor sich geht, dann muß er die Entwicklungen auch dann begleiten, wenn sie sich für spektakuläre Schlagzeilen wenig eignen. Dafür aber fehlt es oft an Geduld und Interesse. Bettina Gaus