“Wer französisch konnte, half mit“

■ Neue taz-Serie: Hamburg und seine Städtepartnerschaften / Das Ziel war die Aussöhnung der Völker nach den beiden Weltkriegen / Es begann mit Marseille Von Torsten Schubert

Der 10. Juli 1958 war ein strahlender Sonnentag. Delegationen aus vier Hafenstädten trafen im Rathaus von Marseille ein, um mit der südfranzösischen Metropole Partnerschaften einzugehen. „Unsere Delegation stand also neben denen von Odessa, Antwerpen und Abidjan“, erinnert sich Henning Jess, bis 1973 als leitender Beamter der Senatskanzlei auch für Städtepartnerschaften zuständig. Nach und nach wurden die Urkunden unterzeichnet und die Nationalhymnen abgespielt. „Dann kamen wir und es erklang auch das Deutschlandlied. Es gab keinerlei Deutschfeindlichkeit.“

Die Städtepartnerschaft mit Marseille, die am 10. Juli 1958 von den Bürgermeistern Max Brauer und Gaston Defferre besiegelt wurde, kam anfangs nur mühsam in Gang. „Wir hatten noch Sprachprobleme“, sagt Henning Jess. Aber es gab auch Ablehnung. So weigerte sich der HSV, gegen den drittklassigen Marseiller Fußballclub anzutreten. „Heute wären sie froh, wenn sie dort spielen dürften.“

Dagegen regelten die Verkehrspolizisten beider Städte schon einmal zu Weiterbildungszwecken den Verkehr in der jeweiligen Partnerstadt. „Eine richtige Partnerschaftsorganisation im Rathaus gab es damals noch nicht“, sagt Jess. Es sei eine absolut ideelle Partnerschaft gewesen: „Wer französisch konnte, half mit“.

Dennoch wuchsen die Kontakte ständig weiter. Helmut Dressel, Vorsitzender der Deutsch-Französischen Gesellschaft „Cluny“ von 1947, erinnert sich: „Die Partnerschaft wurde Hamburg ja von Marseille angetragen. Im Laufe der Zeit besuchten sich Schulen, Chöre und Krankenschwestern beider Städte. Die Handwerkskammern tauschen seit 30 Jahren Lehrlinge aus“.

Zeitweise gab es eine regelrechte Frankreichbegeisterung. Aus Anlaß einer französischen Woche wurden 1966 in Schaufenstern von rund 200 Geschäften französische Produkte von Mode und Luxusartikeln bis hin zu Maschinen und Autos ausgestellt.

Marseille ist strenggenommen Hamburgs zweite Städtepartnerschaft. Bereits 1957 war informell eine Städtefreundschaft mit dem damaligen Leningrad vereinbart worden. Doch die Beziehung zwischen Hamburg und Marseille entwickelte sich nach den anfänglichen Schwierigkeiten durch die günstigere politische Situation zu einem „lebendigen Austausch vieler verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Schichten.“

Ganz im Sinne der Idee der Städtepartnerschaften, die nach dem Ersten Weltkrieg aufkam. Städte verschiedener Nationalitäten sollten sich durch vertragliche Vereinbarungen zu Kontakten zwischen Jugendgruppen sowie zu gemeinsamen kulturellen und sportlichen Aktivitäten verpflichten. Ziel war es, durch gegenseitiges Kennenlernen das Verständnis füreinander zu fördern. Eine der ersten Partnerschaften überhaupt hatten 1925 Kiel und die dänische Stadt Sonderburg vereinbart.

Nach 1945 wurde die Idee erneut aufgegriffen. Sie bekam vor allem durch die 1948 auf Schweizer Anregung in Genf gegründete „Internationale Bürgermeister Union“ neuen Aufschwung. Diese stellte auch 1955 „Richtlinien für die Eingehung und Gestaltung deutsch-französischer Partnerschaften“ auf. Das persönliche Umfeld der Bürger, so waren sie überzeugt, könnte die solideste Grundlage für eine nationale Verständigung zwischen beiden Ländern sein. Aus dieser Überzeugung sind bis heute über 1000 Städtepartnerschaften allein zwischen Frankreich und Deutschland entstanden. Insgesamt gab es Ende 1992 in Deutschland Städtepartnerschaften zu rund 4000 Kommunen in verschiedenen Staaten.

Auch Hamburg beteiligt sich intensiv an diesem internationalen Austausch: Sieben Partnerstädte hat die Elbmetropole bereits: Außer Marseille sind es Dresden, Prag und St. Petersburg in Europa, León (Nicaragua), Osaka (Japan) und Shanghai (China); als achte soll demnächst Chicago hinzukommen. In der Partnerschaftdokumentation heißt es dazu: „Eigentlich kennt Hamburg als traditionsreiche Hafen- und Handelsstadt keine privilegierten Partner. Eine Stadt, die von Kontakten mit Menschen und Orten in allen Kontinenten lebt, muß gleichermaßen weltoffen und tolerant sein, ohne jemanden zu bevorzugen.“

Historisch habe es nach 1945 zwei Phasen gegeben: „Einerseits das Ende der 50er Jahre, die im Zeichen der Aussöhnung mit dem Westen und des Kalten Krieges mit dem Osten standen, andererseits die zweite Hälfte der 80er Jahre, die von den Reformprozessen im Osten gekennzeichnet waren.“ Und jede Zeit hat ihre eigenen Städtepartnerschaften hervorgebracht.

Für die Partnerschaft zu Marseille war die Zeit 1958 reif. Im Wirtschaftswunderland zog es auch „die Hanseaten ans Mittelmeer“, heißt es in der Partnerschaftsdokumen-tation, obwohl „für einen Marseiller Hamburg bereits in der Nähe des Nordpols liegt“.

Schon fünf Jahre zuvor hatte sich die Kommission für Kommunal- und Regionalangelegenheiten des Europa-Rates in Straßburg für das „System der Gemeindepartnerschaf-ten“ ausgesprochen, um „in der öffentlichen Meinung das europäische Ideal zu verbreiten und nach und nach ein wirkliches Netz europäischer Einheit zu schaffen“.

Helmut Dressel bedauert, daß die Partnerschaft derzeit „ein bißchen eingeschlafen ist“. Der Marseiller Bürgermeister Robert Vigouroux sei in politischen Schwierigkeiten, der Kontakt zwischen den Rathäusern funktioniere nicht mehr. Allerdings: „Die Freundschaften zwischen einzelnen Bürgern sind so vielfältig, daß niemand im Einzelnen einen Überblick hat.“

Morgen Teil II: Dresden und Prag