Das Kabinett der Louise McCagg

■ Westwerk: Gesichter von Freunden der Künstlerin als gewichtige Installation

500 Köpfe verwandeln die beiden Wände im Westwerk in ein spezielles Museum der Menschheit. Die New Yorker Plastikerin Louise McCagg hat seit über drei Jahren von ihren Freunden und Bekannten aus Amerika und Europa Gesichtsmasken abgenommen. Keine wissenschaftliche Arbeit, doch in der Konsequenz des Sammelns älteren Studienkabinetten nicht unähnlich. Neben dem Charakter als skulpturales Kunstwerk ist die Arbeit für die Künstlerin auch eine Art Tagebuch. So ist der Organisator der Ausstellung Taken Faces, Karsten Dane, ebenfalls unter den Gesichtern zu entdecken.

Einige der Modelle sind inzwischen gestorben und so wurden die Lebensbilder zu Totenmasken. Solch eine Gemeinschaft der Lebenden mit den Erinnerungen eignet sich vorzüglich als modernes Denkmal. Für eine Ausstellung im Budapester Literaturmuseum hat Louise McCagg Masken heutiger Schriftsteller mit erneuten Abgüssen der Totenmasken berühmter Dichter gemischt. So kommt auch der Literat wieder zur Geltung, der schon zu Lebzeiten sagte, er werde ein sehr schöner Toter sein. „Und das ist er doch auch wirklich geworden?“ findet die Künstlerin und zeigt auf dessen verkleinertes Gesicht in der Installation.

Einige Dichterporträts verweisen auch ganz direkt auf deren Sprachwerk: In der Technik des Wasserzeichens sind Worte in das Pappmasché eingebracht. Das bezieht sich auch auf die Gedanken, die sich die Gesichtsgeber in den zwanzig unbeweglichen Minuten während des Trocknens der Maske machen. Von allen Personen haben dabei nur zwei Klaustrophobie bekommen, eine davon war die Künstlerin selbst.

Ihre Materialien sind Gips, Pappmasché und Algenat, ein pflanzlicher Abformstoff, den normalerweise die Zahnärzte benutzen. Aus der Gesichtsform erstellt sie neue Abgüsse mit Material, das schrumpft, und setzt den Prozeß bis zu den faustgroßen oder daumenkleinen Porträts fort. Bei allen Deformationen bleibt der individuelle Ausdruck erhalten und geht doch in der Masse der Spezies Mensch auf, genauso wie die Gesellschaft sich aus einzelnen Personen konstituiert. Doch für diese Gesellschaft scheinen die Tage gezählt, so vorgeführt bleibt für die Gattung demnächst im Naturkundemuseum nur der Vermerk: „Ausgestorben“.

1872 malte Adolf Menzel seine Atelierwand mit zahlreichen Gipsabgüssen von Mensch und Tier in schräger Untersicht. Bei diesem Bild aus der Hamburger Kunsthalle steht noch die Selbstdefinition zwischen Natur und Kunstvorbild im Zentrum. Doch solche spätromantischen Hoffnungen der Verfügbarkeit treten bei Louise McCagg in den Hintergrund und es bleibt eine Endzeitvision, in der fremde Wesen Menschen wie Schmetterlinge aufspiessen.

Eine gewichtige Ausstellung, die sich des schwierigen Raumes gelungen bemächtigt und für acht Tage aus einem einzigen Flugkoffer ein internationales Kopfkabinett erstellt: „Es ist doch egal ob einer schwarz, braun oder gelb ist, solange er ein guter Mensch ist“, sagt Louise Mc Cagg und vereint ihre Abilder alle unter gleichem Weiß oder gibt ihnen in den Papieren neue Farbtöne.

Hajo Schiff

Admiralitätstr. 74, 16-19 Uhr, nur bis 28. April