Konkurrenzkampf um jeden Patienten

Kassenärztliche Vereinigung will Fachambulanzen abwickeln, um die Patienten in die Praxen der niedergelassenen Ärzte zu zwingen/ Gesundheitssenator Luther erhebt Einspruch  ■ Von Dorothee Winden

Die Patienten traf die Nachricht wie ein Schlag. Von einem Tag auf den anderen sollte die Fachambulanz für Lungenheilkunde und Thoraxchirurgie (FLT) in Berlin- Buch die Behandlung nahezu aller Patienten einstellen. Dies hatte der Zulassungsausschuß der Kassenärztlichen Vereinigung am 24. Februar beschlossen. Zwar legte die Fachambulanz Widerspruch ein, doch dieser hat keine aufschiebende Wirkung. Die Reaktion der Betroffenen reichte „von Wut über Unverständnis bis zu Fassungslosigkeit“, berichtet FLT-Patient Manfred Pautz, der binnen kurzer Zeit 597 Unterschriften gegen die geplante Abwicklung sammelte.

Die Empörung ging quer durch alle Fraktionen des Gesundheitsausschusses. Staatssekretär Detlef Orwat kritisierte, daß die Entscheidung den gesundheitspolitischen Zielvorstellungen des Senats zuwiderlaufe.

Die Fachambulanz Lungenheilkunde ist nicht die erste Fachambulanz, der die Kassenärztliche Vereinigung (KV) die Arbeitsgrundlage entzieht. Dahinter steckt offenbar Konzept: Die Patienten sollen künftig von niedergelassenen Ärzten behandelt werden. „Das ist Ausdruck des harten Konkurrenzkampfes um Patienten im Ostteil der Stadt“, stellt der gesundheitspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Bernd Köppl, fest. Der Vorsitzende der KV stehe „unter starkem Druck der niedergelassenen Ostberliner Ärzte, die durch die Gesundheitsreform ökonomisch in Bedrängnis sind“. Auch aus der SPD-Fraktion kam der Vorwurf, die Vereinigung „nähre wieder einmal ihren Ruf als Interessenvertreterin der Kassenärzte“.

Die Ansichten darüber, ob es genügend niedergelassene Spezialisten gibt, die die Patienten der FLT betreuen könnten, gehen auseinander. Der KV-Vorsitzende meint ja, Gesundheitssenator Luther meint nein. Die Fakten sprechen für letzteres: In Ostberlin gibt es gegenwärtig nur zwölf niedergelassene Ärzte, die auf Lungenkrankheiten spezialisiert sind. Die nächsten Lungenfachärzte sitzen – mehrere S-Bahn-Haltestellen von Buch entfernt – in Karow und Pankow. Eine Entfernung, die den Patienten kaum zuzumuten ist. Fraglich ist auch, ob die niedergelassenen Ärzte überhaupt die Kapazitäten haben, einen großen Teil der 2.000 PatientInnen zu übernehmen, die die Fachambulanz pro Quartal behandelt. Dazu kommt, daß die Fachambulanz wegen der hohen Patientenzahl viel Erfahrung mit schwierigen Krankheitsfällen sammeln konnte. „Wir sehen seltene Krankheitsbilder relativ oft“, sagt Chefarzt Jürgen Lichey. Häufig überweisen Ärzte Fälle, bei denen sie nicht mehr weiterwissen.

Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) hält die Fachambulanzen für zukunftsträchtig, schlicht „den besseren Weg“. „Wegen der Fachambulanzen führe ich schon lange einen Kampf mit der Kassenärztlichen Vereinigung“, sagt er, doch seine Einflußmöglichkeiten sind begrenzt. „Ich habe eine Koalition mit den Krankenkassen gebildet“, sagt Luther. Deren Vertreter sollen sich im Berufungsausschuß für den Erhalt der Bucher Fachambulanz einsetzen. Luther bleibt nur, Überzeugungsarbeit zu leisten, denn politischen Zugriff hat er nicht. Laut Gesetz fällt der Kassenärztlichen Vereinigung die Aufgabe zu, eine bedarfsgerechte und gleichmäßige ärztliche Versorgung der Versicherten sicherzustellen. Auch andere Fachambulanzen liegen mit der Kassenärztlichen Vereinigung im Clinch. Wegen Zulassungs- und Vergütungsfragen sind etliche Prozesse anhängig. Die Fachambulanzen dürfen nämlich nicht wie niedergelassene Ärzte die Einzelleistungen abrechnen, sondern erhalten pro Patient und pro Quartal eine Pauschale von sechzig Mark. Daß dieser Betrag nicht kostendeckend ist, liegt auf der Hand. Bei der Robert- Rößler-Fachambulanz in Buch sind seit Oktober 1992 jährlich Fehlbeträge in Höhe von drei Millionen Mark aufgelaufen, rechnet Verwaltungsdirektor Bernhard Motzkus vor.

Die Einrichtung übernimmt sowohl Krebs-Diagnostik als auch ambulante Strahlentherapie – ein Bereich, der von niedergelassenen Ärzten gar nicht abgedeckt wird. In diesem Fall wird nicht um Patienten, sondern direkt um Geld konkurriert: Die Ärzte der Fachambulanz werden aus dem gleichen Topf bezahlt wie die Kassenärzte. Da dieses Budget durch die Gesundheitsreform quasi eingefroren wurde, gewinnen die Verteilungskämpfe an Schärfe. Je weniger die Kassenärztliche Vereinigung an die Fachambulanzen zahlt, desto mehr Geld kann unter den niedergelassenen Ärzten verteilt werden.

Auch die Institutsambulanzen des Oskar-Ziethen-Krankenhauses in Lichtenberg dienen der KV als Sparschwein. Hier sind ebenfalls Fehlbeträge in Millionenhöhe aufgelaufen. In zwei Instanzen hat das Krankenhaus bereits gegen die Kassenärztliche Vereinigung gewonnen, doch diese will erneut in Berufung gehen und vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen. Ein Indiz dafür, wie verbissen die Kassenärztliche Vereinigung um Pfründe kämpft.

Zumindest im Fall der Fachambulanz für Lungenheilkunde zeichnet sich mittlerweile eine Lösung ab. Die Senatsverwaltung für Soziales erteilte einer Unterabteilung der Fachambulanz für Tumorvor- und -nachsorge eine Zulassung. Damit sind 60 Prozent der Einrichtung in Buch gerettet. Die Entscheidung, ob auch der übrige Teil weiterarbeiten kann, trifft Mitte Mai der Berufungsausschuß der Kassenärztlichen Vereinigung. Dorothee Winden