■ Prostituierte der Nation, vereinigt Euch!
: Kongreß des Sündenbabels

Bochum (taz) – Für Deutschlands Prostituierte steht fest: „Wir wollen uns nicht länger aufs Kreuz legen lassen.“ Drum kamen am Wochenende rund 100 weibliche und männliche Vertreter des ältesten Gewerbes zusammen: zum 16. Nationalen Hurenkongreß in Bochum. Die Bilanz des Sündenbabels steht bei Deutschlands Huren und Strichern, Callboys und -girls gleich zweimal im Jahr im Terminkalender. So macht man zum Medienereignis, was sonst beschämt ignoriert wird.

Auf dem Kongreß werden die Probleme des Strichs auf den Punkt gebracht: „Wir bezahlen Spitzensteuersätze und werden noch nicht einmal in die gesetzlichen Renten-, Arbeits- und Krankenversicherungen aufgenommen. Wo andere, wenn sie älter werden, mehr Urlaub und mehr Geld bekommen, da wird es für uns immer schwerer, unseren Lebensunterhalt zu verdienen.“ Die Anerkennung des Berufes „Hure“ ist das mindeste, was die Betroffenen fordern. Schließlich, das brachte der Gesprächskreis „Reflexion des Arbeitsalltags in der Sexarbeit“ unzweifelhaft zu Tage, lieben die meisten der Kongreßabgeordneten den Liebesdienst. Bei bis zu sechseinhalbtausend Mark Monatsmiete pro Zimmer und einem Spitzenverdienst von 15.000 Mark im Monat schöpfen die „Masseusen“ aus dem vollen Schlamassel der einsamen Herzen und haben dabei viel zu bieten: „Wir sind Geliebte, Mutter, Tochter, Freundin und Sozialarbeiterin zugleich.“ Einfühlungsvermögen, Sensibilität und die Gabe des Zuhörens gehören zu den Grundqualifikationen im Rotlichtmilieu. So einhellig können Meinungen sein, und doch sind sie sowenig repräsentativ. Das wissen alle Beteiligten, und das gibt man auch offen zu: „Die Huren auf dem Kongreß sind durchgängig engagiert, selbstbewußt und unabhängig. Sie arbeiten freiwillig in ihrem Beruf. Das unterscheidet sie natürlich grundlegend von Mädchen in der Beschaffungsprostitution und den Opfern von Mädchenhändlern.“

Aber auch ihr Arbeitsalltag ist längst nicht mehr in rosarotes Licht getaucht. Denn: Für immer mehr Mädchen aus den unteren sozialen Schichten ist die Trennungslinie zwischen Wohlstand und Arbeitslosigkeit der Strich. Die horizontale Konkurrenz nimmt zu, und darunter leidet die Kollegialität unter den Frauen. „Viele der Huren unterhalten kaum Kontakte außerhalb des Milieus. Die zunehmende Konkurrenz treibt sie noch mehr in die Isolation.“ Und weil das so ist, wurden die Klagelieder auf dem Kongreß nur allzuoft sehr unreflektiert angestimmt: „Die wenigen guten Bar- und Clubbesitzer, die ihren ,Angestellten‘ eine angenehme Arbeitsatmosphäre bieten, ärgern sich ständig mit dem Gesetzgeber herum: wegen Begünstigung zur Prostitution und Menschenhandels“, gab es da zu hören. „Menschenhandel, nein danke!“ heißt es auf der einen Seite, während auf der anderen Seite gefordert wird, die Gesetze zu lockern, damit die Barbesitzer, die oft genug nur ob ihrer Skrupellosigkeit so viel Bares besitzen, unbehelligt und unkontrolliert ihre Geschäfte machen können.

Fest steht: Die Damen und Herren des Milieus sehen rot. Daran können auch die Prostituierten- Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen kaum etwas ändern. Sich selbst können sie meist auch nicht mehr helfen, weil die Förderquellen, die sich in der Ära der Aids- Hysterie auftaten, in den Zeiten der leeren Stadtsäckel wieder versiegen. Die Sozialarbeit auf dem Strich wird zur Gratwanderung zwischen Hilfegeben und Hilfenehmen: Spenden kommen von Firmen und aus den eigenen Reihen. So trägt das Sündenbabel seine eigenen Kinder. Dirk Borowski