Wunschreste an der Nabelschnur

■ Mike Steiner zeugt seine Sammlung von Performance-Videos in der Kreuzberger NGBK-Galerie

Fortsetzung

teiligt, indem er die artifiziellen Sinneswerkzeuge lediglich steuert und sich trotzdem zugleich von ihnen führen läßt. Von Rebecca Horn selbst als „Identifikationsprozeß“ bezeichnet, bildet sich eine völlig neue Perspektive bei der Verbindung von Mensch und Medium heraus: Der Körper deckt in situ auf, was das Video zur Performance in actu widerspiegelt. Die Künstlerin sieht sich dabei ebenso von außen zu wie das Publikum. Verfilmter Monolog und vorgeführter Dialog schließen einander nicht aus, die Wahrnehmung konstituiert sich aus beiden Teilen.

Diese geglückte Reflexion auf die medialen Bedingungen der Selbsterkundung findet sich in einer Reihe von Videoarbeiten wieder. Frederike Pezold untersucht mit „Schamwerk“ und „Mundwerk“ (beide 1975) ihre körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten, indem sie ihre äußeren Geschlechtsmerkmale zeichenhaft verfremdet und doch konkret vor der Kamera inszeniert. Schwarz umkullert bewegt sie in Großeinstellungen ihre Brüste oder wackelt mit dem scharf konturierten Schamhaar. Es entsteht eine „Neue Zeichensprache eines Geschlechts nach den Gesetzen von Anatomie, Geometrie und Kybernetik“, so der unmißverständliche Titel des Videos. Wunderbar leicht sind auch die Skizzen, mit denen Pezold die Aktion vorbereitet hat: Auf Leinwände gedruckt und zu einer Installation verbunden, hängen kleine Bilderserien aus, die „Schamwerk“ als Partitur begleiten sollen.

Die Beobachtung als Analyse bildet auch den Rahmen für eine Arbeit von Ulrike Rosenbach: „Reflexionen über die Geburt der Venus“ (1976 bis 1978) zeigt eine Performance, bei der Rosenbach eine Dia-Reproduktion des Botticelli-Gemäldes auf den eigenen Körper projiziert. Unendlich langsam dreht Rosenbach ihr Gesicht zur Seite und bezeichnet damit die Kluft zwischen Modell und Wirklichkeit – der Körper konterkariert die Darstellung, indem er die Projektion auf sich selbst anwendet und verdoppelt. Der mit der Ikone festgeschriebene männliche Blick wird gespalten, gerade weil die Frau als Medium und Symbol für ein „soziales Gebilde“ (Valie Export) dazwischentritt.

Es ist denn auch ein Mann, der den Kreis der weiblichen Vielheiten aufbricht und unter rein technischen Aspekten verallgemeinert. Jochen Gerz eignet sich zwar den Bruch mit der Darstellung an, bindet aber das Dargestellte im Medium wieder an den Körper. Das Bild selbst wird zur Performance: Vor der Kamera umklammert Gerz einen Fernseher und robbt mit dem Bildschirm wie mit einem Schneckenhaus auf dem Rücken über den Fußboden. Dabei läßt Gerz die Aktion filmen und auf den Fernseher rückübertragen. Künstler und Bild werden im Medium zur Einheit. Solcherart in den close circuit eingedrungen, simuliert Gerz zum Höhepunkt die eigene Geburt aus der Projektion und holt plötzlich den Monitor zwischen seinen gespreizten Beinen hervor. Das Stromkabel als Nabelschnur – am Ende hat der männliche Künstler seine Herrschaft über die Zeichen wieder hergestellt. Der Rest ist die Geschichte einer weiterentwickelten Technik von den Blue-box-Effekten bis zum computergenerierten Clip. Früher aber war das alles viel lustiger.

Steiner Art Tapes, bis zum 7.5. in der NGBK Berlin. Mit wechselndem Videoprogramm, täglich ab 20 Uhr. Zur Ausstellung ist bei Ars Nicolai ein Katalog über die Entwicklung der Videokunst und ihren Zusammenhang mit der Sammlung von Mike Steiner erschienen, ca. 240 Seiten, 49 DM.

Wunschreste an der Nabelschnur Mike Steiner zeigt seine Sammlung von Performance-Videos in der Kreuzberger NGBK-Galerie

Von Harald Fricke

Schon im Vorwort zum Katalog kann sich Mike Steiner eine gewisse Enttäuschung nicht verkneifen. Seit bald 20 Jahren hat er Performance-Videos produziert und vor allem gesammelt, doch eine Ausstellung seines Archivs mit Abramovic/Ulays gefilmtem Spitzwegraub oder Paul McCarthys perversem Seemannsgarn wollte niemand unterstützen. Grund dafür ist das Unbehagen gegenüber dem Medium und dem Fernsehapparat, der sanft drohend dahintersteht. Während der Kölnische Kunstverein schon seit einigen Jahren die Arbeiten von Videokünstlern zeigt und fördert, gelten die Filme in der Malerhochburg Berlin zumeist nicht einmal als Kunst, und auch der Markt handelt lieber mit echten Wertobjekten. Nur einmal war Steiner im Netz: 1985 durfte er für das Kabelprojekt auf dem Offenen Kanal seine Sammlung vorstellen – zwischen skurrilen Freikirchenpredigern und Volkstanzgruppen.

Insofern paßt der abgeschabte weiße Putz an den Wänden der NGBK zu den Plakaten, Objekten und Videos, die als Dokumente von den Performances der siebziger Jahre übriggeblieben sind. Aufgezeichnete Momente, deren Zeichen allmählich verfallen. Keiner weiß noch genau, wie die Bauschaum-Spaghetti auf den ausgestellten Schlips gekommen sind, aber es sieht alles sehr pelzig aus. Mehr als jede andere Retrospektive können die Souvenirs an vergangene Happenings nur auf abwesende Dinge verweisen. Zwar klangen eben noch Sexkunst, Selbst-Ritual und Ich-Aktionen wie ein Hilferuf aus nächster Nähe, doch in gläserne Vitrinen gebettet und auf Monitore gebannt wirken die kurze schwarze Reitgerte, der stählerne Handschuh, eine dionysische Tigermaske oder ein paar kleine Pornobildchen wie Kinderspielzeug. Durchlittene und trotzdem abgearbeitete Wunschreste: Die wegrasierten Haarbüschel von Jochen Gerz, Konrad Schnitzler und all den anderen sind entweder nachgewachsen oder ganz von allein ausgefallen.

Und dennoch ist das, was Ich sein wollte, nicht bloß zu Material geworden. Gerade in der denkwürdigen Rückbindung von Kunst an den Körper, die zudem eine Reaktion auf die Konzeptgrammatiken der späten sechziger Jahre gewesen war, liegt keine Melancholie. Kaum eine Arbeit endet in der Theorie oder dient als Missing link zum Subjekt, nur Ben Vautier bleibt mit der Installation „Sleeping Video“ – Fernseher auf Kopfkissen – in der surrealistischen Tradition dem Ersatz-Objekt verpflichtet. Dagegen könnten die Plakate von Dorothy Iannone als matriarchaler Kämpferin mit dem Dildo als flammendem Schwert der Liebe sich hervorragend zu weiblichen Gen- und Gender- Warriors des Post-Feminismus gesellen. Die eigentliche Aktualität der ausgewählten Filme und Objekte des Sammlers Mike Steiner besteht in ihrem deutlichen Anspruch auf diesen Teil der Kunstgeschichte: Video als Abbild des Körpers war ein Medium der Frau.

Als wolle sie Franz Kafkas tätowierende Einschreib-Maschine aus der Strafkolonie mit den 1960 entstandenen „Anthropometries“ Yves Kleins (eine Reihe monochromer Körper-Abdruckbilder), verknüpfen, steht für die Ausstellung zentral eine Performance- Ecke von Carolee Schneemann. „Up to and Including My Limits“ fand 1976 als Aktion in der Studiogalerie von Mike Steiner statt. Über Stunden baumelte die am Wiener Aktionismus geschulte Amerikanerin in einem Zugseil vor einer weiß tapezierten Galerienische, schwang sich gegen die Wand und versuchte im Vorbeischaukeln die Ecke mit knappen Nachrichten über das eigene Befinden vollzukrickeln: „9.05 – Doppelstecker / She wants to go home.“ Der Text lagert irgendwo in einem Wirrwarr aus lauter bruitistisch schlingernden Linien zwischen. Vor allem aber dokumentiert Schneemann in immer neuen Beschreibungen den physischen Kollaps als Zusammenspiel mit dem Environment: „Filmreel No. 2 fell off... the projector broken... what next?“ Die Rhetorik des Scheiterns wird dabei nicht von der Sprache, sondern durch den Körper angetrieben. Während der Aktion blieb Schneemann nackt, um ihre Loslösung aus dem Kontext einer guilt-ridden culture zu zeigen.

Doch die sublim erotische Handlung wird selbst zur Metapher für den Code der Schuld. Während die Produzentin in der Produktion aufgeht, bleibt das Publikum weiterhin vom Ablauf der Aktion ausgeklammert. Am Ende ist auch die aufgezeichnete Situation nur ein Bild an der Wand, das sich entsprechend der konventionellen Sprache ohne große Anteilnahme wiedergeben läßt. In einer Glasvitrine liegt als Beleg des öffentlich gemachten Flops der herausgerissene Zeitungsausschnitt aus dem Spiegel vom 21.6. 1976: „Wie in Trance schwang die nackte Schöne in einem Seil-Geschirr durch das Kabinett... Tonbandgeräusche aus der Küche mischen sich mit kunstpolitischen Tiraden.“

Knapp drei Wochen nach der mißglückten Ineinssetzung von Kunst und Leben findet im Künstlerhaus Bethanien eine ähnlich aufreibende Aktion statt. Am 10.7. 1976 tanzt Marina Abramovic für dreieinhalb Stunden ihre Performance „freeing the body“. Wieder soll der Körper in einer Art erotischem Dauerdrill zum Sprechen gebracht werden: Nackt, mit einer schwarzen Maske vor dem Gesicht, möchte Abramovic das entindividualisierte und neutrale Wesen hinter der Projektion von Weiblichkeit entlarven. In monotonen Bewegungsabläufen verschwindet die Frau als begehrtes Konstrukt und macht der bloßen Präsenz eines sich über die Aktion definierenden Körpers Platz.

Wiederum zeugt die Dokumentation von einer gegenläufigen Erfahrung. Neben der bunt bemalten Spielnische hängen fünf in der Bewegung verwischte Fotos zur Tanzperformance von Marina Abramovic, mit einigen Anmerkungen versehen: „3. – 1 Farbiger spielt kontinuierlichen Rhythmus auf 2 Congas und baut die Intensionen in Phasen auf.“ Die Spannung bezieht sich allein auf das Zusammenspiel von Trommler und Tänzerin, das nicht anders als ein Konstrukt wahrgenommen werden kann. Authentisch und identisch ist Abramovic nur in bezug auf ihre kunstinterne Kommunikation: „Der Blick der Künstlerin geht nicht nach außen, ins Publikum, sondern bleibt nach innen gerichtet, konzentriert sich auf das im eigenen Körper-Sein und verweigert den Dialog mit der Außenwelt“, schreibt Anja Oßwald im Ausstellungskatalog. Die Neutralität ist ebenso konstruiert wie die abgearbeitete Weiblichkeit, der Geschlechtertausch nur symbolisch angestrebt.

Erst durch die Übertragung der Situationskunst auf das Medium Video wird diese Kluft in der Repräsentation offengelegt. Für den Wechsel der Perspektive scheinen die Filmarbeiten von Rebecca Horn exemplarisch zu sein. „Berlin – Übungen in 9 Stücken“ wurde im Winter 1974/75 gedreht und zeigt die Künstlerin bei mehreren Performances. Eingeschnürt in eine Bleistiftmaske zeichnet Horn allein durch rhythmische Bewegungen mit dem Kopf eine Spur an die Wand oder mißt mit Filzprothesen, die ihre Arme verlängern, den Raum aus. Immer ist der Körper nur mittelbar an der Erfahrung be

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