Deutsches Geld strahlt in Litauen

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau finanziert Atommüllbehälter für Litauen, die den Weiterbetrieb des AKW Ignalina ermöglichen  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – Dieter Schoenfeldt hat einen Großauftrag an Land gezogen. Der Geschäftsführer der Gesellschaft für nukleare Behälter (GNB) hat 60 sogenannte Castor-Behälter für hochradioaktiven Atommüll nach Litauen verkauft, Stückpreis rund 500.000 Mark.

Und die Konkurrenz war hart, rund 20 andere Anbieter habe man aus dem Feld geschlagen: „Die haben sich für uns entschieden, weil wir die sichersten Behälter angeboten haben, und obwohl wir nicht die billigsten waren.“ Das Geschäft ist einer der größten Deals, die die bundesdeutsche Atomwirtschaft bislang in Osteuropa gelandet hat.

Außerdem ist es politisch extrem brisant. Die Behälter sollen nämlich für die nächsten Jahrzehnte als Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente des berüchtigten Atomkraftwerks Ignalina dienen. Die Folge: Weil es dieses Zwischenlager gibt, können die 1.500-Megawatt-Reaktoren vom Typ Tschernobyl in Litauen überhaupt weiterlaufen. Die bisherige Lagerkapazität für abgebrannte Brennelemente wäre bis 1995 erschöpft gewesen, und ein Abtransport des Atommülls zur russischen Wiederaufarbeitungsanlage Krasnojarsk – wie er während der Sowjetzeit möglich war – scheidet aus. Die Russen nehmen keinen ausländischen Atommüll mehr an.

Geschäftsführer Schoenfeldt versucht die deutsche Verantwortung für den Weiterbetrieb von Ignalina einzuschränken. „Sicher hätte das AKW ohne die Behälter nicht weiterbetrieben werden können. Aber solche Behälter hätten die Litauer ohnehin gebraucht.“ Das könne man schon daran sehen, daß die Castor-Behälter auch beim abgeschalteten AKW Greifswald für die Zwischenlagerung eingesetzt werden. Seine Castor- Behälter seien einfach sicherer als die Abklingbecken osteuropäischer Bauart. Wie zum Beweis hat seine Firma, eine Tochter der Nukem (45 Prozent) und der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS: 55 Prozent) auch einige Dutzend Castor-Behälter nach Tschechien verkauft.

Atommeiler wie Ignalina vom Typ Tschernobyl gelten selbst den staatlichen AKW-Befürwortern in Deutschland als nicht nachrüstbar. Auch der einzige deutsche AKW- Bauer Siemens hat immer davor gewarnt, eine Nachrüstung der RBMK überhaupt zu versuchen. Wegen der fehlenden Schutzhülle (Containment) könnten die Reaktoren nicht auf einen westlichen Sicherheitsstand gebracht werden. Außerdem hätten die RBMK-Reaktoren in bestimmten kritischen Situationen die Neigung, eher unkontrollierbar zu werden.

Schoenfeldt will die Kritik an den Tschernobyl-Reaktoren seiner Geschäftspartner so nicht gelten lassen. „Man kann die Reaktoren in Ignalina nicht mit denen in Tschernobyl vergleichen. Die sind einfach deutlich besser und neuer.“ Der Block 1 der Anlage ist Ende 1983 praktisch parallel mit dem Katastrophenreaktor von Tschernobyl in Betrieb genommen worden, Block II im August 1987.

Auch bei den verantwortlichen Politikern in den westlichen Industrienationen gibt es offensichtlich unterschiedliche Lesarten der Sicherheit solcher Tschernobyl-Reaktoren. Offiziell wird immer wieder auch von den Litauern gefordert, diese Meiler möglichst umgehend abzuschalten. Doch nicht nur die Deutschen helfen beim Weiterbetrieb. Die Europäische Entwicklungsbank (EBRD) in London hat Litauen gerade erst einen Kredit in Höhe von 32 Millionen Ecu (rund 60 Millionen Mark) für die Nachrüstung der Atommeiler gewährt. Und der schwedisch-schweizerische AKW-Bauer ABB wird noch 1994 in größerem Umfang Brandschutzeinrichtungen liefern.

Im Zweifel geht seit Jahren das Geschäft vor. Während für Energiesparinvestitionen seit Jahren im Westen kein Geld lockerzumachen ist, werden für das Atomgeschäft der großen Konzerne erhebliche Anstrengungen unternommen. So drängten auch westliche Regierungen ihre litauischen Partner, Haftungsfragen, die dem Einsatz westlicher Technologie in Ignalina im Wege standen, zu lösen.

Das hatte die Regierung als Eigentümerin der Meiler gerade erst getan, als Anfang Dezember der Vertrag zwischen der deutschen Firma und den Litauern abgeschlossen wurde. „Für uns war diese gesetzliche Neuregelung von außerordentlicher Bedeutung“, erklärt GNB-Geschäftsführer Schoenfeldt. „Wir tragen jetzt in Ignalina keine nuklearen Risiken mehr, so theoretisch die auch gewesen sein mögen.“

Auch wenn es die Castor-Behälter selbst nicht betreffen mag, theoretisch sind die atomaren Risiken in Ignalina jedenfalls nicht. Schwedische Reaktorexperten, die die beiden Meiler mit Abstand am besten kennen, empfehlen seit Jahren, sofort abzuschalten. Erst im Januar war wieder ein Loch im Notkühlsystem eines der Reaktoren aufgetreten. Damals sagte Per Bystedt von der schwedischen Atomenergiebehörde SKI: „Das Problem ist nicht das eine Rohr, sondern die Frage, ob die Rohre nicht alle marode sind.“