Das überfällige Ende des Kolonialismus am Kap

■ Die Tage der burischen Herrlichkeit sind gezählt. Ab heute finden in der Republik Südafrika erstmals demokratische Wahlen statt, an deren Ende der einstige Staatsfeind Nummer eins, Nelson...

Die Tage der burischen Herrlichkeit sind gezählt. Ab heute finden in der Republik Südafrika erstmals demokratische Wahlen statt, an deren Ende der einstige Staatsfeind Nummer eins, Nelson Mandela, erster schwarzer Präsident sein wird.

Das überfällige Ende des Kolonialismus am Kap

Jeder im Township kennt Smangaliso Mkhatshwa, jeder wünscht ihm, daß er nach Südafrikas ersten freien Wahlen in dieser Woche in das erste gemischtrassige Parlament von Kapstadt einziehen wird. Der katholische Priester, ehemals Generalsekretär der Südafrikanischen Bischofskonferenz, steht auf Platz 43 der Wahlliste des African National Congress (ANC) und hat damit gute Chancen, ein Mandat zu erringen. Einen Interessenskonflikt zwischen Priesteramt und politischer Betätigung sah und sieht der 54jährige, der in den siebziger und achtziger Jahren mehrmals im Gefängnis war, nicht. Im Innenhof seiner Kirche, eines modernen Baus mitten in der Schwarzensiedlung Soshanguve, nördlich von Südafrikas Hauptstadt Pretoria gelegen, befindet sich denn auch das örtliche ANC-Büro, an dessen Tür offen um Mitglieder geworben wird.

„In den letzten Jahren ist es hier ruhig gewesen, wir hatten keine großen politischen Probleme“, sagt Schwester Rita, eine deutsche Dominikanerin, die seit 30 Jahren in Südafrika lebt. 1989 rief Smangaliso Mkhatshwa sie an und fragte sie, ob sie nicht Lust habe, für ihn zu arbeiten. Schwester Rita zögerte nicht lange, legte sich mit dem Orden an und die Nonnenkluft ab – und zog ins Township. Heute ist der Orden mit ihrer Arbeit hoch zufrieden. Die 53jährige gebürtige Mainzerin ist die einzige weiße Frau in Soshanguve, sie wohnt in einem jener typischen Township-Häuschen. „The sister“, wie die Menschen sie nennen, ist die rechte Hand des Priesters, sie führt die Amtsgeschäfte, wenn Smangaliso Mkhatshwa seine politischen Aktivitäten entfaltet.

Soshanguve ist ein „ganz normales“ Township, knapp eine Million Menschen leben hier, die genaue Zahl kennt, ebenso wie in den anderen Schwarzensiedlungen Südafrikas, niemand. Es gibt keine Ambulanz, keine Feuerwehr, kein richtiges Krankenhaus. Der Name verweist auf die Entstehungsgeschichte: eine Zusammensetzung von Anfangsbuchstaben verschiedener afrikanischer Stämme, die dorthin zwangsumgesiedelt wurden. „So“ steht für Nord-Sotho, „sha“ für Shanga, „ngu“ für n Guni und „ve“ für Venda. Am Wochenende vor Südafrikas „historischer“ Wahl ist es ruhig in Soshanguve. Im Gemeindesaal findet ein Treffen der örtlichen Wahlbeobachter statt, die auf die 46 Wahllokale verteilt werden sollen. Mit großen Behinderungen oder Einschüchterungen rechnen sie nicht; Soshanguve ist im Gegensatz zu den vielen Townships rund um Johannesburg nicht gespalten in verfeindete ANC- und Inkatha-Lager. Es gibt zwar auch hier ein Hostel für Zulu- Wanderarbeiter, aber die leben dort friedlich zusammen. Nur die allgemeine Kriminalität hat auch hier in den letzten Jahren drastisch zugenommen. Nachts hört man oft Schüsse, sagt Schwester Rita. Außerdem sei es in den letzten Wochen bei Einbruch der Dunkelheit mehrmals zu stundenlangen Stromausfällen gekommen.

In Soshanguve hat der ANC alles fest im Griff, Wahlplakate von anderen Parteien sind hier kaum zu sehen. „Was soll sich hier schon ändern für uns“, seufzt Elsie Mathaole. „Ja, man hat uns viele Versprechungen gemacht, aber wir wissen doch alle, daß das sehr viel Zeit brauchen wird. Immerhin, vielleicht gibt es endlich Frieden in diesem Land.“ Die 35jährige lebt zusammen mit ihrem Mann und drei Kindern in einem vergleichsweise schmucken Häuschen. Elsie Mathaole ist seit Jahren arbeitslos, das Geld bringt ihr Mann nach Hause, er ist Lehrer. Es gibt Strom und fließendes Wasser, im Wohnzimmer stehen eine riesige Couchgarnitur, ein Fernseher und ein Videorekorder. Weggehen kommt für Elsie und ihre Familie nicht in Frage. „Hier haben wir unser Auskommen, wir kennen alle Nachbarn, und immerhin hat mein Mann eine Arbeit.“ Mit ihren Nachbarinnen hält Elsie morgens einen Plausch im Wohnzimmer, während im Hintergrund Wahlspots über den Bildschirm flimmern. Wählen gehen werden sie alle – welche Partei sie wählen wollen, verraten sie nicht. „Die Wahl ist geheim, das haben wir in der Wählerausbildung gelernt“, sagen sie einstimmig und ein wenig stolz.

Das Gespräch wendet sich wichtigeren Dingen zu. Sie alle würden ihre Kinder gern in den Montessori-Kindergarten von Soshanguve schicken, der ein paar hundert Meter von der Kirche entfernt liegt. Vor drei Jahren begann Schwester Rita zusammen mit einer schwarzen Erzieherin den Aufbau dieses Projekts. Mit Erfolg. Heute werden 120 Kinder aus der ganzen Region dort unterrichtet, und es gibt bereits die ersten beiden Grundschulklassen. Finanziert wird die Schule aus den Beiträgen der Eltern; 100 Rand (50 Mark) monatlich müssen sie für ihr Kind bezahlen, gemessen an einem durchschnittlichen Einkommen sehr viel Geld – zu viel Geld für Elsie und ihre Freundinnen. Unter einer ANC-geführten Regierung stehen die Chancen nicht schlecht, daß die Montessori-Schulen, die der Apartheid-Regierung stets ein Dorn im Auge waren, als Privatschulen vom Staat anerkannt werden. Nach den Wahlen, so hofft Schwester Rita, wird wenigstens das einfacher – und billiger – werden. Kordula Doerfler, Pretoria