Bus- und Bahnfahrer werden alt

Jeder fünfte BVGler soll bis 1998 gehen / Gewerkschaft befürchtet Überalterung des Personals / Fahrgastverband bemängelt, daß ausgerechnet jene kündigen, die gebraucht werden  ■ Von Ralph Bollmann

Für die 23.000 Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) scheint der alte Trott vorbei zu sein. Busfahrer werden zu Zugführern umgeschult, Mitarbeiter im Ordnungsdienst zu Zugabfertigern gemacht, Weichen-Schlosser der Straßenbahn an die U-Bahn „verpumpt“, berichtet Personalchef Wilfried Mehner.

Grund für die neue „Flexibilität“ bei dem Verkehrsbetrieb ist ein rasanter Personalabbau. Die Unternehmensberatung „Bossard Consultants“ hatte im vergangenen Jahr ein Schrumpfungskonzept verordnet: Bis 1998 sollten insgesamt 5.600 Stellen verschwinden, davon 1.100 noch in diesem und 1.500 im kommenden Jahr. Das Plansoll des laufenden Jahres ist schon jetzt übererfüllt: Hatten am Jahresende noch 25.101 Berliner einen Arbeitsplatz in Werkstätten, U-Bahnhöfen oder der Verwaltung, stehen inzwischen nur noch 23.363 in Lohn und Brot der BVG.

Hatte sich die Zahl der Beschäftigten durch Pensionierungen und freiwillige Kündigungen schon im Januar und Februar um 384 verringert, so gibt es seit Mitte März gar kein Halten mehr: Seit dem bekommt jeder, der bis Ende August die BVG verläßt, einmalig eine Abfindung. Je schneller Mitarbeiter kündigen, desto höher ist der Betrag. Im April gibt es noch 40.000 Mark, im August nur noch 24.000 Mark. Die Abfindung entspricht ungefähr den Lohnkosten, die bis Jahresende angefallen wären.

Die Gewerkschaft steht dieser Abfindungsregelung „mit Skepsis“ gegenüber. Denn das Ziel, gerade in der überbesetzten Verwaltung und Technik Stellen abzubauen, werde nicht erreicht, weiß Lothar Andres, bei der ÖTV für den Verkehrsbetrieb zuständig. Statt dessen würden vor allem KollegInnen aus dem Verkehrsbereich gehen. Der Zugverkehr sei nicht mehr im bisherigen Umfang zu gewährleisten, eine Verlegung des Betriebsbeginns um eine Stunde sei bereits ins Auge gefaßt worden.

Zudem, befürchtet Andres, führe die Abfindungsregelung zu einer Überalterung des Personals. Es gingen vor allem jüngere KollegInnen, weil die älteren auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr hätten. Sinnvoller ist nach Ansicht der ÖTV die „58er Regelung“. Mit dem Vorruhestand könne man „über längere Zeiträume den Personalabbau auch realisieren“. Die Vorstandsetage ist dagegen mit der jetzigen Regelung zufrieden. Es gingen überwiegend jene, „deren Dienstauffassung und Fehlzeiten nicht ganz dem entsprachen, wie es sein sollte“, sagt Personalchef Mehner.

Die Fahrgäste sehen das offenbar ganz anders. „Die Beschwerden über unfreundliches BVG- Personal sind in den letzten Monaten schlagartig in die Höhe gegangen“, berichtet Norbert Gronau, Vorstandsmitglied des Berliner Fahrgastverbands IGEB. Abgebaut werde vor allem beim Fahrpersonal, während es in den Bereichen ohne direkten Kundenkontakt eine „gigantische“ Überbesetzung gebe. Personalabbau allein sei kein Rezept, „die BVG leidet unter einem Strukturproblem“. Würde sie beispielsweise statt der Busse, mit denen ein Fahrer 80 Personen befördert, Straßenbahnen mit 300 Plätzen einsetzen, könnte sie 300 bis 500 Millionen Mark jährlich einsparen.

Verkehrssenator Herwig Haase (CDU), der die BVG als „weltweit größten Sanierungsfall im öffentlichen Nahverkehr“ attackierte, verweist Anfragen an den Pressesprecher des Verkehrsbetriebs. Dabei ist der überhöhte Personalbestand der BVG eine politisch bedingte Altlast. „Die Eigenbetriebe waren zu Mauerzeiten Instrumente der Berliner Arbeitsmarktpolitik“, sagt BVG-Sprecher Wolfgang Göbel. Busse der Senatsverwaltung seien sogar durch Westdeutschland gefahren und hätten Fachkräfte für Berlin geworben, unabhängig vom tatsächlichen Bedarf. Zudem wurde in der eingemauerten Halbstadt „außer der Rindfleisch- und Kohlenreserve auch eine Verkehrsreserve bereitgehalten“, fügt Personalchef Mehner hinzu: Ein Jahr, so die alliierte Vorgabe, mußte die BVG in der Lage sein, den Betrieb ohne Lieferungen von außen aufrechtzuerhalten. Ersatzteile wurden daher kostenintensiv selbst hergestellt, die Motoren bis 1987 selbst überholt, 32 U-Bahn-Wagen über den Bedarf hinaus bereitgehalten.

Arbeitsmarktpolitisches Instrument war, wie bekanntlich alle Betriebe in der DDR, auch die Ostberliner BVB. 3.000 überzählige Beschäftigte hat die BVG nach Mehners Angaben übernehmen müssen. Hinzu kämen 500 S-Bahner aus dem Westteil, die nach dem zwischen Bundesverkehrsministerium und Senat ausgehandelten Kompromiß nicht von der Deutschen Bahn AG übernommen wurden.

Daß politische Vorgaben „von Wahlperiode zu Wahlperiode“ auch noch wechseln, beklagt Gewerkschafter Andres: Um auf allen Buslinien den Zehn- und auf einigen den Fünf-Minuten-Takt einzuführen, wurden unter dem rot- grünen Senat 1.500 Fahrer eingestellt. Wenn Haase jetzt dem Autoverkehr wieder Vorrang gebe, könne man sie so wenig beschäftigen. Und die zusätzlich beschafften Doppeldeckerbusse seien in Deutschland unverkäuflich.

Bis die BVG so kostengünstig arbeitet wie westdeutsche Verkehrsbetriebe, prognostiziert Personalchef Mehner, „werden wir fünf Jahre brauchen“.