Trotz der Zensur

■ Filme Frankreichs aus dem II. Weltkrieg

Zu den Klassikern des europäischen Films zählen Les Enfants du Paradis, die zuerst 1945 aufgeführten Kinder des Olymp. Daß Marcel Carnés vierstündiges Epos unter den aufreibenden und materialknappen Bedingungen der letzten Kriegs- und Besatzungsjahre Frankreichs gedreht wurde, ist jedoch bei allem Ruhm bisweilen in Vergessenheit geraten.

Die französische Filmproduktion unter der deutschen Besatzungsmacht ist ein einzigartiges Kapitel Kinogeschichte: Paradoxerweise wurden in der damaligen Abgeschlossenheit vom internationalen Markt gleichermaßen eigenständige filmische Stilrichtungen erprobt wie die Möglichkeiten politischer Stellungnahme unter Zensurbedingungen erkundet. Das zeigt eine außergewöhnliche, sechs Spielfilme umfassende Vorführungsreihe des Metropolis-Kinos.

Die Auswahl umfaßt souveräne Rückgriffe auf die Tradition von Surrealismus und Experimente des Avantgarde-Kinos der Zwanziger Jahre (La nuit fantastique von Marcel L'Herbier) wie auch Robert Bressons mit allen Schattierungen der Filmfarbe Schwarz argumentierendes Psychogramm Les Dames du Bois de Bologne.

Selbst der umstrittenste Film der Okkupationszeit wird erstmals in Hamburg aufgeführt: Le Corbeau (Der Rabe) von Henri-Georges Clouzot. Mit diesem Kriminalfilm, ausgerechnet von einer deutschen Produktionsfirma finanziert, hatte Clouzot das Klima der Denunziation in einer französischen Kleinstadt porträtiert, was ihm nach der Befreiung den Vorwurf der Verunglimpfung Frankreichs, einen Prozeß und ein mehrjähriges Berufsverbot eingetragen hatte.

Den Auftakt der Reihe bilden Nous les gosses! (zu deutsch etwa „Wir Gören!“) aus dem Jahre 1941. Louis Daquin, Mitglied des antifaschistischen Untergrundes, inszenierte unter diesem Titel einen Kinderfilm für Erwachsene, eine französische Version von Emil und die Detektive: Von Laiendarstellern gespielte Vorstadtkinder verfallen auf gewitzte Strategien des gemeinsamen Gelderwerbs, widersetzen sich den Anordnungen eines Polizeikommissars und sind schließlich in der Überführung eines Gaunerpaars erfolgreicher als jede ordnungsgemäß damit beauftragte staatliche Institution.

Hendrik Feindt

Metropolis: Nous les gosses!, heute, 19 Uhr. Danach folgen bis Anfang Juli jeweils mittwochs um 16.30 Uhr: La nuit fantastique (11.5.), Lumière d'été (18.5.), Goupi mains rouge (8.6.), Le Corbeau (22.6.) und Les Dames du Bois de Bologne (6.7.). Alle Filme laufen in französischer Originalfassung, meist mit englischen Untertiteln.