Obdachlosenheim steht leer

■ Jugendliche belagern ein leerstehendes Haus in der Kastanienallee und fordern Nutzung bis zur Rückgabe an Heilsarmee / Gebäude bereits dreimal erfolglos besetzt

Daß die Gebäudefront der Kastanienallee 71 nach Westen zeigt, ist für 20 Jugendliche nicht ohne Bedeutung. Statt von den ersten Sonnenstrahlen geweckt zu werden, können sie auf dem Bürgersteig im Schatten des roten Backsteinbaus ausschlafen, bis die ersten Nachbarn über die mit Schlafsäcken vermummten Kids steigen. „Ärger gibt's mit denen aber nicht“, versichert ein 16jähriger Punk, „'ne Oma hat gestern sogar 'n Fuffi in die Spendenbüchse gesteckt. Ganz heimlich.“

Seit vergangenen Freitag campieren die Jugendlichen vor dem Haus, in dem sie gerne wohnen würden. Das aber verweigert ihnen bislang die Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg (WIP). Die wurde zwar erst Anfang Februar durch eine Besetzung daran erinnert, daß das von ihr verwaltete und beheizte Haus seit zwei Jahren leersteht. Das hinderte die WIP freilich nicht, die Jugendlichen mit Polizeigewalt aus dem Haus zu scheuchen. Die Begründung: „Der Alteigentümer will das Haus leer zurückhaben.“ Alteigentümer ist die Heilsarmee, die das Haus vor dem Krieg als Heim für obdachlose Männer betrieben hat. Nach Auskunft des Wirtschaftsstadtrats will die Heilsarmee das Gebäude nach der Rückgabe nun aber als Renditeobjekt nutzen, um so die anderen Projekte zu finanzieren.

In der vergangenen Woche wurde das Haus schließlich ein zweites und ein drittes Mal besetzt. Diesmal beteiligten sich über 30 Jugendliche. Zwar hatte die WIP nach der ersten Besetzung im Februar und nach Intervention des Prenzelberger „Besetzer“-Pfarrers Winkler vier Ersatzwohnungen zur Verfügung gestellt. Doch darin, sagen die Kids, konnte keiner wohnen. „Nur eine Wohnung war beheizbar, bei den anderen fehlten Fenster, Öfen, und Wasser gab es auch nicht.“ Die Jugendlichen fordern nun eine Zwischennutzung des Gebäudes, bis das Haus endgültig an die Heilsarmee zurückgegeben wird.

Daß die entgültige Restitution noch ein bis zwei Jahre dauern kann, darauf weist auch die Initiative „Wir bleiben alle“ (WBA) hin. Zwar gibt es keine weiteren Ansprüche auf Restitution, doch noch immer liegen dem Vermögensamt nicht alle Unterlagen der Heilsarmee vor. Auf einem Treffen mit den Besetzern wurde nun ein Nutzungskonzept entworfen: Zwei Etagen der Kastanienallee sollen von Jugendlichen bewohnt werden, eine Etage als Werkstatt eingerichtet werden und eine weitere für Obdachlose und Trebe-Projekte zur Verfügung stehen. Eine Forderung, die mittlerweile nicht mehr unrealistisch scheint. „Nach dem ganzen Wirbel“, sagte gestern WIP-Sprecherin Eva-Maria Kunitz zur taz, „sind wir gerade dabei, diese Forderung zu prüfen.“ Falls sich herausstelle, daß das Gebäude noch mindestens ein Jahr in Verwaltung der WIP bleibe und sich ein Trägerverein der Jugendlichen annehme, sei man bereit, über eine solche Lösung nachzudenken. Bereits heute kommen Wohnungsbaugesellschaft, Besetzer und WBA zu einem runden Tisch zusammen, um über die Zukunft des Hauses und der jugendlichen Obdachlosen zu verhandeln. Falls es zu keiner Einigung komme, erklärten gestern die Besetzer, bleibe nicht nur der „Skandal eines ungenutzten Obdachlosenheims“, sondern man sei auch gezwungen, „sich den Wohnraum wieder selbst zu suchen“. Uwe Rada