Sind mißhandelte Kinder bald ohne Hilfe?

■ Angelika May von „Frauenzimmer“: Kinder brauchen eigene Ansprechpartnerin

Es geht um 160.000 Mark. So wenig fehlt, um bis Ende des Jahres in den Zufluchtswohnungen von Frauenzimmer e.V. und des Frauenselbsthilfevereins ZUFFS jeweils eine Mitarbeiterin für die psychologische Betreuung der Kinder zu bezahlen. Zwar hält man dieses Hilfsangebot auch in der Frauensenatsverwaltung für wichtig, doch wegen der Sparpläne des Senats sei dafür kein Geld da. Die letzte Rettung ist jetzt der Hauptausschuß, der heute darüber berät, ob die Mittel nicht doch im Nachtragshaushalt bereitgestellt werden können.

taz: Was hat die Mitarbeiterinnen der Zufluchtswohnungen bewegt, dort auch psychologische Betreuung für Kinder anzubieten?

Angelika May: Die Kinder, die mit ihren Müttern bei uns wohnen, bringen selbst viele Probleme mit und brauchen dringend Unterstützung. Die Kinder sind zum Teil selbst mißhandelt, verprügelt, vergewaltigt oder sexuell mißbraucht worden. Manche sind auch verwahrlost oder vernachlässigt. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß die Kinder ihre eigene Sicht der Dinge haben. Sie brauchen eine eigene Ansprechpartnerin. Die andere Erfahrung ist, daß Mütter, die zu uns kommen, oft so mit eigenen Problemen belastet sind, daß sie sich nicht ohne weiteres angemessen um die Kinder kümmern können. Es geht auch nicht, daß Mütter und Kinder eine gemeinsame Ansprechpartnerin haben.

Warum?

Weil es Interessenskonflikte zwischen Kindern und Müttern gibt. Der klassische Fall ist, wenn die Mutter zurück zum Mißhandler will, und die Kinder wollen nicht. Dann muß es Gespräche geben. Die Kinder brauchen jemand, der ihre Interessen vertritt, weil sie von der Mutter abhängig sind. Wenn eine Kollegin für beide zuständig ist, dann sitzt sie in diesem Konflikt zwischen den Stühlen.

Was können die Mitarbeiterinnen für die Kinder tun?

Sie können – und das ist das einmalige an diesem Modell – in die Zufluchtswohnungen gehen. Sie sind also im Wohn- und Lebensbereich der Kinder präsent. Die Kinder können sie direkt ansprechen, das heißt, die Kinder sind nicht mehr abhängig davon, daß ihre Mütter mit ihnen irgendwo hingehen, um Hilfe zu holen. Die Mitarbeiterinnen können über Rollenspiele, über Malen, Sport oder Bewegungsspiele dem Kind die Möglichkeit geben, auszudrücken, was es erlebt hat. Man kann sich mit einem vierjährigen Kind nicht hinsetzen und sagen, so, nun reden wir mal über deine Probleme. Das muß spielerisch über Vertrauen langsam erarbeitet werden.

Was ist denn von Vorschlägen zu halten, daß sich bezirkliche Beratungsstellen um diese Kinder kümmern sollen?

Das kann, wenn überhaupt, nur die zweite oder dritte Stufe sein. Uns geht es darum, erst mal Aufdeckungsarbeit zu machen. Wir müssen herausfinden, was das Kind erlebt hat und was für Bedürfnisse es hat. Erst in einem weiteren Schritt kann überlegt werden, welche Maßnahmen greifen. Da haben die Kinder- und Jugendhilfeträger auch ihre wichtige Funktion. Es kann eine Familienhelferin herangezogen werden, oder wir versuchen, die Kinder in eine Spieltherapie zu vermitteln. Wir machen im Projekt keine Therapie, sondern klären im Vorfeld erst einmal, was das Kind braucht. Interview: Dorothee Winden