■ Polnische Mafia zum Großteil hausgemacht
: Falsche und echte Detektive

Warschau (taz) – Die Kriminalitätsrate im Warschauer Stadtteil Nord-Praga stellt mittlerweile so manche polnische Großstadt in den Schatten. Jenseits der polnischen Ostgrenze ist Schutzgelderpressung durch organisierte, bewaffnete Banden schon seit langem an der Tagesordnung. Doch als bekannt wurde, daß östliche Banden von ihren in polnischen Großstädten handelnden Landsleuten Schutzgelder eintreiben, beruhigten sich Presse und Polizei gegenseitig mit dem Argument, eine Gefahr für Polen gehe davon nicht aus. „Die machen das unter sich aus“, hieß es, und regelmäßig verkündete die Polizei, sie könne nicht eingreifen, da sich die Opfer weigerten, Anzeige zu erstatten. Man mußte schon weißrussische Zeitungen lesen, um zu erfahren, daß die Opfer sich zugleich darüber beklagten, daß ihre Anzeigen von polnischen Polizeiposten gar nicht erst aufgenommen worden waren. Noch vor einem Jahr tönte es aus dem Hauptquartier der Polizei in Warschau, in Polen gäbe es doch gar keine Mafia. Inzwischen tragen selbst Verkehrspolizisten bei Kontrollen Maschinenpistolen und Bleiwesten, nachdem mehrere ihrer Kollegen in der letzten Zeit von Autodieben einfach über den Haufen geschossen worden waren.

Ein Großteil der Schutzgelderpressungen sind allerdings hausgemacht. Nach 1989 entstanden in Polen überall sogenannte Detekteien aus entlassenen, politisch belasteten Geheimpolizisten, Polizisten und geltungssüchtigen Rambos, die sich darauf spezialisierten, Schulden einzutreiben. Jahrelang spielten sich diese Inkasso-Aktivitäten unbehelligt unter den Augen der Polizei ab. Aufgrund des komplizierten polnischen Konkurs- und Zivilrechts sahen viele geneppte Gläubiger oft keine andere Möglichkeit, als zu solchen Methoden Zuflucht zu nehmen. Wer nicht zahlte, mußte damit rechnen, daß sein Wagen „beschlagnahmt“ oder sein Gebiß beschädigt wurde. Es war nur eine Frage der Zeit, wann Polens „Detektive“ auch Schulden eintreiben würden, die in Wirklichkeit gar nicht existierten. Erst 1993 begann das Innenministerium, einigen Firmen die Konzessionen zu entziehen. Zu spät — inzwischen haben deren Job Banden übernommen, die sich um eine Konzession gar nicht scheren.

So vergeht inzwischen kaum ein Tag, an dem die Zeitungen nicht von mafiagleichen Vorfällen berichten. Auf offener Straße rechnen rivalisierende Banden miteinander ab oder entführen Familienmitglieder der Konkurrenz. Man hörte auch von einer organisierten Gruppe im Warschauer Nachbarort Otwock, die monatelang die Bevölkerung terrorisiert und Schutzgelder eingetrieben hatte. Und das keineswegs nur von Kneipenwirten und Läden, sondern auch von Autobesitzern. Polens Autodiebe haben sich nämlich inzwischen auch etwas Neues einfallen lassen, seit der Verkauf gestohlener Wagen immer unrentabler wird. Sie stehlen das Fahrzeug und verkaufen es dem Besitzer zurück. In Otwock waren sie da noch fortschrittlicher: Die dortige Bande ließ sich dafür bezahlen, daß sie die Wagen erst gar nicht stahl. In Warschau wurden im ersten Vierteljahr bereits 37 Morde begangen, 59mal gab es Überfälle mit Feuerwaffen. Zunehmend verlagert sich die Kriminalität von der Innenstadt auf die Vorstädte und die Nachbarstädte von Warschau. Groß in den Schlagzeilen ist zur Zeit die Mafia von Pruszkow, die im Warschauer Stadtteil Zoliborz Kneipen-Schutzgelder eintreibt. Einige Warschauer Händler haben sich bereits gegen die Schutzgelderpresser zusammengeschlossen. Ein Appell an ihre Kollegen, nicht mehr zu zahlen und Anzeige zu erstatten, erschien in der Presse allerdings vorsichtshalber ohne Unterschriften. Klaus Bachmann