Kuschel-Schmus gegen böse Medien

■ Wo Poesie zur Abwehr dient, dort wird Kunst zum Kitsch: „Le Cirque Invisible“ zelebrieren die große poetische Zirkus-Lüge drei Wochen im St. Pauli Theater

Der Gesichtsausdruck ist stets derselbe: Mit eingefrorenem Heidi-Kabel-Grinsen tritt Jean Baptiste Thierrée auf die Bühne des St. Pauli-Theaters und zelebriert etwas aufwendige Kleinkunst. Zauberkunststücke aus der Mottenkiste der fahrenden Kunst, Bällewerfen unterhalb des Levels, wo man es Jonglieren nennen könnte, und kurze alberne Scherze, die oft eine Tugend aus einer Not zu machen scheinen – indem ironisch das verkaspert wird, was man anscheinend technisch nicht beherrscht –, sind das Gebotene. Der einzige Grund, warum dieses Erlebnis das Etikett „Magie“ erhält, ist die Kostümschlacht, die Thierrée und seine Gattin Victoria Chaplin (letzte Tochter von CC) entfachen.

Insbesondere letztere hat sich eine schillernde Mehrweg-Garderobe genäht, mit der sich sogenannte „Fabelwesen“ darstellen lassen. Mit dem Charme einer Eisheiligen spielt sie das alte Verkleidungsspiel und verwandelt sich in etwas mühseliger Prozedur von einem Fisch in einen Pfau, in eine Qualle oder irgend etwas Ausgedachtes.

Strapaziert wird hier „Die Phantasie“, das angeblich „Kindliche“. Beides Dinge, die uns in dieser so schrecklich von den bösen Medien beherrschten Wirklichkeit so schmerzlich abhanden gekommen sein sollen (Presseinfo sinngemäß). Nur bleibt die Frage, ob der naive Charme einer Kleinfamilie – Sohn James Spencer darf an Gummiseilen hängend die Kuschelversion von „Mad Max in der Donnerkuppel“ zeigen – für die Bewässerung der angeblichen Wüste erwachsener Vorstellungskraft das probate Mittel ist (Kinder sind unerwünscht, da Beginn der Vorstellung stets um 20 Uhr).

Was hier vielmehr durchschimmert, ist die nostalgische Realitätsflucht in ein definitiv ungültiges Idyll aus Zirkus-Schmus und märchenhafter Verklärung. Die bunte Ausmalung eines Kreativ-Knastes, in dem alles weich, lieb, schön oder niedlich sein muß, mag zwar ein paar wenige romantische Kindheitserinnerungen hervorzaubern, aber als theatralischer Entwurf taugt das ungefähr soviel wie ein David-Hamilton-Film oder der Blaue Bock. Harmonie bis zur vollständigen Selbstaufgabe und Abwehr der Geschichte mit den Mitteln des Kitsches, das sind die gemeinsamen Rezepte aller spießigen Unterhaltung. Und dies sind die Mittel des Cirque Invisible.

Die wenigen Momente der Verblüffung oder des Schmunzelns sind da nur die Interpunktion einer welt-leugnenden Rede aus einer Blase der Selbstbezogenheit. Einziger Trost – der Abend besitzt tatsächlich einen Höhepunkt: einen Chor singender Gänse.

Till Briegleb