Oranger Herrenslip, Größe 107

■ „Die falsche Zofe“ von Marivaux in der Volksbühne

Mit Liebe hat das wohl nichts zu tun. Zuerst schließen A und B einen Treuevertrag, der Bußgeld beim Bruch der Freundschaft festlegt. Dann entdeckt B die – mit doppelter Mitgift – bessere Partie C und will A nun loswerden. Doch währendessen hat sich C als Mann verkleidet, um den Zukünftigen, B, auszuspionieren und ihm noch dazu A abspenstig zu machen. Am Ende führt diese Milchmädchenrechnung vom Glück natürlich ins Unglück. Alle bleiben allein.

Mit Liebe hat auch die Inszenierung von Stefan Bachmann nichts zu tun. Zu Beginn nehmen vier Figuren in abgeschabten Rokoko- Kostümen erst mal eine volle Dröhnung Koks. Später wackeln sie ausgelassen mit den Hüften zum Bacardi-Song: „Come on, have some fun, dancing in the morning sun“, dann vergnügen sie sich mit Schwertschlucken um die Wette, mimen etwas Intrigenspiel nach Art Marivaux', knallen aus Spaß und Dollerei einen Diener über den Haufen. Schießlich enden sie in Ermattung oder Raserei.

Mit seinem Frühwerk „Die falsche Zofe“ hat Pierre Carlet de Marivaux eine Versuchsanordnung geschrieben. Unter der Oberfläche des heiter-melancholischen Verwirrspiels um Liebe und Treue reist er in die menschliche Seele. Er entdeckt betrogene Betrüger, besieht Menschen, die mit sich selbst uneins leben, zeigt, wie die Figuren in sozialen Rollen kleben, läßt es zwischen ihnen knistern, die Herzen beben, die Blicke flammen. Und entlarvt nebenbei eben auch die Verlogenheit einer Epoche, die sich hinter galanter Sprache versteckt. Von Marivaux heißt es, er lese in den Köpfen der Menschen – Stefan Bachmann buchstabiert nur den Zeitgeist. Er reduziert das Stück auf eine große Parabel unseres modernen, miesen Lebensgefühls. Auf ein Buch der Dekadenz.

Die Bühne (Thomas Gabriel) ziert wohl deswegen ein riesiger Herrenslip Größe 107, orange, mit neckischen Motiven von Watteau. Er verbirgt jedoch nur ein kahles Eisengerüst. Darauf und darunter springen die Darsteller genußsüchtig herum. Sie balgen sich um Geld, singen flotte Werbesongs, greifen sich an die Wäsche, gieren vergeblich nach Befriedigungen. Ein differenziertes Spiel mit den Formen der Liebe wird so allerdings nicht kenntlich. Die Figuren demaskieren sich nur als Ausgeburten des Rokoko: oberflächlich und brutal, sensationsgeil und verlogen – und auswechselbar. Statt vier Typen viermal ein Typus. Und der ist bekannt.

Die Aufführung bietet allerhand. Die Schauspieler dürfen fröhlich improvisieren, karikieren, fechten, am Gerüst klettern und schaukeln. Sie tanzen über die Abgründe des Textes hinweg und zeigen in Variationen immer das gleiche: Menschen, die sich aus ihrem langweiligen sinnlosen Leben in Drogen- und Konsumrausch flüchten. Das wirkt gelegentlich frech und frisch, oft aber etwas pubertär. Und plump. Es steigt auf wie heiße Luft – die schnell verdampft. Dirk Nümann

Weitere Vorstellungen: 7. bis 10.5., 20 Uhr, Volksbühne, 3. Stock, Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte.