Keine Pickelhaube für den Reichstag

■ Unionsfraktion im Bundestag revidiert Beschluß zum Reichstagsumbau / Architekt Foster erhält Bauauftrag

In der Unionsfraktion des Bundestages haben gestern die Befürworter eines wilhelminischen Disneyland-Reichstags mit originalgetreuer Kuppel eine Niederlage erlitten. Eine Mehrheit votierte in einer Sondersitzung gegen den Antrag, sich auf die Wiederherstellung der historischen Dachkonstruktion des 1894 vollendeten Gebäudes festzulegen. Eine Sachentscheidung über eine bestimmte Form des Dachaufbaus vermieden die Abgeordneten bewußt. Im Anschluß an die Sondersitzung beauftragte der Ältestenrat des Bundestags den britischen Architekten Norman Foster definitiv mit der Planung des Gebäudes.

Die Zeitplanung für den Reichstagsumbau und den Umzug nach Berlin muß nach der gestrigen Sitzung nicht überarbeitet werden, wie Berliner Unionsabgeordnete betonten. Der Beschluß verlangt ausdrücklich, den vereinbarten Kostenrahmen von 600 Millionen Mark einzuhalten – die Kuppel, so ihre Gegner, wäre weit teurer gekommen.

Die Fraktion der CDU/CSU vermeidet mit der Entscheidung auch eine Niederlage im Plenum des Bundestages. Dort hätten voraussichtlich nicht nur die Opposition, sondern auch die meisten Abgeordneten der Regierungspartei FDP gegen die Wiederherstellung der Wallotschen Originalkuppel gestimmt.

Das Dilemma hatte die CDU- Fraktion am Dienstag selbst heraufbeschworen. Überraschenderweise hatten sich die Abgeordneten in einer nur noch schwach besuchten Sitzung mit rund 80 gegen 40 Stimmen für die Kuppel ausgesprochen. Eine Gruppe um CDU- Nationale wie Alfred Dregger sowie den CSU-Abgeordneten und ehemaligen Bauminister Oscar Schneider hatte seit Monaten für die architektonische Rückkehr ins Kaiserreich geworben. Die CSU- Landesgruppe machte sich noch gestern einstimmig für eine solche Lösung stark.

Architekt Foster, Wettbewerbssieger der Ausschreibung für den Reichstagsumbau, hatte erst vergangene Woche sechs neue Vorentwürfe mit unterschiedlichen Dachkonstruktionen präsentiert. Dazu gehören ein zylindrischer, verglaster Aufbau von rund zwanzig Meter Höhe (Kritikerspott: „Plattenwechsler“), eine entfernt an „Luftkissen“ erinnernde Glaskonstruktion, eine flache Kuppel sowie eine Lösung, bei der von außerhalb des Gebäudes überhaupt keine Dachkonstruktion über dem Plenarsaal wahrzunehmen ist. Fosters ursprünglich prämierter Entwurf eines auf fünfzig Meter hohen Säulen stehenden Glasdaches über dem Reichstag war später wegen der hohen Kosten verworfen worden.

Denkbar unterschiedlich fielen gestern die Interpretationen des Unionsbeschlusses aus. Oscar Schneider sprach von einer Vertagung, die notwendig sei, „um die Kuppel für die Zukunft zu retten“. Bundessenator Peter Radunski (CDU) argumentierte dagegen, angesichts des Kostenrahmens sei die Wiederherstellung der alten Wallot-Kuppel nun nicht mehr machbar. Nicht ausgeschlossen sei der Bau einer dem Original ähnlichen Kuppel in Leichtbauweise („Dach light“). Der Ältestenrat habe Architekt Foster beauftragt, die Planung voranzutreiben, ohne eine Entscheidung über den Dachaufbau zu treffen, erklärte Senator Radunski. Hans Monath