Selbstbefriedigung

■ Geschlechterrollen im Privatfensehen - Eine Studie

Lange hat Peter Strahlendorf es für sich behalten. Doch endlich schießt der „Bereichsleiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Sat.1“ los: „Wir ließen die Zuschauer zwischen einem Kultur-, einem Action- und einem Erotikstreifen wählen. 9.000 entschieden sich für Kultur, 30.000 für Action und 150.000 für Erotik. Die Leute wollen das doch!“

Professor Horst Scarbath, Autor der in Rede stehenden Studie über Geschlechterrollen im Fernsehen „Ihr seid ja leicht zu befriedigen“, kann sich angesichts der binären Ja-Nein-Logik des Medienarbeiters ein melancholisches Lächeln nicht verkneifen. Er weiß ja, daß die Massen in bereits entfremdeten Lebensprozessen stecken und ihre inneren Erfahrungswelten durch die Medien zunehmend industrialisiert werden. Folge: Wirklichkeitsverlust. Hier also hätte die Diskussion über „Sexualität und Geschlechterrollen im Privatfernsehen“ eigentlich schon aufhören können, tat sie aber nicht, denn gesucht war ja der Dialog.

Die Hamburger Anstalt für neue Medien (HAM) hatte vergangene Woche geladen, um die von ihr in Auftrag gegebene Studie über die Rollen der Geschlechter zu diskutieren. Dabei bemüßigten sich die AutorInnen (Horst Scarbath, Margaretha Gorschenek und Petra Grell) gegenüber den anwesenden Werbern und Privatfernsehleuten von Anfang an eines gemäßigten Tones. Es war viel von „wertfrei betrachten“, „niemanden an den Pranger stellen“ und „bei den Privaten entschuldigen“ die Rede. Letztlich sollte dadurch, so Petra Grell, die „Gesprächsbereitschaft der Verantwortlichen gesteigert werden“.

Auf dem Papier der 260seitigen inhaltsanalytischen Fallstudie geht es dagegen konkret zur Sache: Auf „Entkoppelung des rein körperlichen Vollzugs von Zärtlichkeit und seelisch mitmenschlichen Bezügen“, kurz: Techno-Sex, werde die Darstellung menschlicher Sexualität im Privatfernsehen reduziert. Männlicher Voyeurismus und Verdinglichung präge die Darstellung ebenso wie die Verknüpfung von Sexualität mit destruktiver Gewalt.

Frauenfeindliche Orientierungsmuster und überkommene machistische Klischees entdeckten die AutorInnen nicht allein in den klassischen Rammelfilmen wie „Bohr weiter, Kumpel“, sondern auch in Spielshows, Serien, Zeichentrickfilmen und Werbespots. Die Thomas Gottschalks („Aha, jeder Mann ist so gut, wie es eine Frau macht?!“) und Stephan Lehmanns („Eine Frau, die einen Ehemann sucht, ist das gewissenloseste aller Raubtiere“) kalauern sich frauenfeindlich in piefigster Fünfziger-Jahre-Manier durch alle Kanäle. Etliche Beiträge verstoßen sogar gegen das Jugendschutzgesetz und das Pornographie-Verbot.

Als „Spitze des Eisbergs“ bezeichnet Petra Grell Fälle wie den auf Premiere gesendeten dreiminütigen Trickfilm „Trains Fantomes“. Retouchierte Fotografien – von weiblichen Genitalien und (Kriegs)-Leichen – sind einzelbildweise hintereinander montiert. Diese bewußt nicht wahrnehmbare Bildverknüpfung erinnere an „pathologische Strukturen“, so die Medienforscherin.

Und wie reagieren die Programmmacher? In ihren Augen ist die im Winter 1992/93 erstellte Studie schon nicht mehr zeitgemäß. Es habe sich viel getan, man setze heute verstärkt auf Eigenproduktionen, in denen Frauen, besonders Staatsanwältinnen, die tragenden Rollen spielen. Ein Trend hin zum „Objekt Mann“ sei auszumachen. Auch ein Klischee, aber was sei so schlecht daran?

Unausgesprochen blieb, daß die permanente Vereinheitlichung der Wirklichkeit Stereotypen etabliert, die nicht nur auf unterhaltsame Art Erfahrung verhindern, sondern auch alles außerhalb der Norm ausgrenzen: Schwule und Lesben finden im Fernsehen nicht wirklich statt. Der gnadenlose Heterozentrismus der medialen Unterhaltungsprogramme wird in der Studie leider nicht erwähnt.

Auf der Hamburger Tagung auch nicht. Das wundert kaum, setzte sich das 110köpfige Fachpublikum doch aus echten Männern und Frauen zusammen, selbst größtenteils in überaus befriedigenden gesellschaftlichen Positionen. Harald Hotopp, Creative Direktor einer Werbefirma, ging gar davon aus, „daß das Publikum überwiegend linksliberal eingestellt sei“. Niemand widersprach. Befriedigungsprobleme haben seiner Meinung nach allein die „Ihrs“, die Prolls, denen man Produkte eben nur unter Verwendung klarer Orientierungsmuster verkaufen kann. „Dealen mit der Wirklichkeit“ nennt das Harald Hotopp. Claudia Thomsen