Vietnamesische VertragsarbeiterInnen

■ betr.: „Eine Strategie der Abschie bung in Etappen“, taz vom 15.4.94

[...] Wer weiß schon, was diese Menschen haben durchmachen müssen, welche furchtbaren Schicksale hinter ihnen liegen und wie ungerecht sie in Deutschland behandelt werden.

In der DDR wurden sie als Arbeitskräfte geholt, weil man sie für die Produktion brauchte. Mit ihrem Einsatz halfen sie die DDR- Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Ansonsten lebten und arbeiteten sie weitgehend ohne Rechte. Sie wurden als menschliche Arbeitsroboter mißbraucht und wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Wie alle anderen bezahlten auch sie Steuern und Sozialversicherungsbeiträge.

In ihren Wohnunterkünften lebten sie wie im Ghetto, größtenteils isoliert von der einheimischen Bevölkerung. Dort waren sie zahlreichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen unterworfen, die ihren Lebensraum einengten. Der Familiennachzug war von vornherein ausgeschlossen. Bis heute leben sie seit mehreren Jahren getrennt von ihren Kindern und Ehegatten. Frauen durften nicht schwanger werden und wenn doch, mußten sie einen Abbruch vornehmen lassen. Sie waren ja nur zum Produzieren da. Mit einem Kind konnten sie ihre Arbeit nicht mehr ausführen und mußten gehen. Einige Frauen sind trotzdem das Wagnis eingegangen und haben ihr Kind geboren. Mit dem wenige Monate jungen Baby wurden sie nach Vietnam zurückgeschickt.

Nach den Umwälzungen in der DDR waren sie die ersten, die man aus den Betrieben entließ. Sie wurden nicht mehr gebraucht. Diese Menschen, die für die Wirtschaft notwendig waren, versuchte man nun so schnell wie möglich loszuwerden, abzuschieben, obwohl ihre Verträge noch nicht ausgelaufen waren. Die meisten reisten 1990 zum Teil unter Druck vorzeitig in ihre Heimat zurück. Sie haben alle die Rückkehr nach Vietnam bitter bereut. Dort gibt es für sie keine Lebensperspektive. Sie fristen ein menschenunwürdiges Dasein.

Andere blieben in Deutschland. Ihnen wurde mit einer Aufenthaltsbewilligung für die ursprünglich vorgesehene Vertragsdauer der Aufenthalt gewährt. Für die meisten ist diese Frist schon lange abgelaufen. Eine Verlängerung war nicht möglich. Seitdem leben sie mit einer Duldung in der Bundesrepublik. [...] Sie bekommen keine Arbeit, keine Unterstützung. Nichts. In der BRD sind sie inzwischen nach mehreren Jahren Aufenthalt mit den Verhältnissen vertraut geworden. Sie haben sich hier eingelebt. In Vietnam würden sie sich nicht mehr zurechtfinden.

Am 14.4.93 wurde von der Länderinnenministerkonferenz beschlossen, ehemaligen DDR-VertragsarbeitnehmerInnen die Aufenthaltsbefugnis zu erteilen, wenn diese ihren Lebensunterhalt aus selbständiger oder unselbständiger Erwerbstätigkeit sichern können und kein Ausweisungsgrund vorliegt. Mit der Möglichkeit der Erteilung dieses Aufenthaltstitels wurde von den verantwortlichen Ministern indirekt anerkannt, daß humanitäre Gründe eine Rückkehr nach Vietnam ausschließen. Obwohl tatsächlich solche Gründe vorliegen, wird die Erteilung der Befugnis an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Dies widerspricht aber dem Ausländergesetz. Entsprechend des Gesetzes wird die Aufenthaltsbefugnis erteilt, wenn humanitäre Gründe diese erfordern, aber die Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen ist oder ihr einer der in Paragraph 7 Abs. 2 des Ausländergesetzes bezeichnenden Versagungsgründe entgegensteht. Dies sind Ausweisungsgründe oder der nicht gesicherte Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit. Dies bedeutet, daß der oben genannten Ausländergruppe ohne weiteres die Aufenthaltsbefugnis erteilt werden kann, auch dann, wenn sie die Bedingungen nicht erfüllen, die durch die Länderinnenminister gefordert werden. Dies aber wird nicht berücksichtigt, und demzufolge erteilen die Ausländerbehörden vielen keine Aufenthaltsgenehmigung.

So werden Vietnamesinnen und Vietnamesen systematisch in ihren Rechten beschnitten. Ihnen wird ein gesichertes Bleiberecht verweigert. In diesen Tagen endet die Frist, bis zu der ihnen die Aufenthaltsbefugnis erteilt werden sollte. Viele haben bis jetzt noch keine bekommen. So leben sie mit der Angst vor einer Abschiebung. Eine zukunftsorientierte Lebensplanung ist dadurch völlig ausgeschlossen, die Integration nicht möglich. Ihnen fehlt die Grundlage für ein menschenwürdiges Leben.

Durch Gesetzesänderungen wurden ihre Rechte noch mehr eingeschränkt. Seit Anfang des Jahres bekommen sie für ihre Kinder, die in Deutschland geboren wurden, kein Kindergeld mehr, über Jahre hinweg haben sie Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Das alles zählt nicht. All das, was sie für die frühere DDR und auch für das wiedervereinigte Deutschland geleistet haben, wird nicht anerkannt. Weder die Bundesregierung noch die Länderregierungen sind bereit, ihnen einen dauernden Aufenthalt zu ermöglichen. [...] Damit wird das Unrecht, das ihnen in der DDR angetan wurde, fortgesetzt. Wilfried Wendler, Vorsitzender

der Gemeinschaft deutscher und

vietnamesischer BürgerInnen

e.V., Beierfeld